Hinkmar
Erzbisehof von Reims.
Sein Leben und seine Schriften
von
Dr. Heinrich Schrörs.
Freiburg im Breisgau.
Herder'sche Verlairshandluiifr.
1884.
Zweigniederlassungen in Strasshurg, München und St. Louis, Mo.
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten.
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Akademische Bachdruckerei von F. Straub in München.
Vorwort.
Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, die Ge- schichte eines Mannes darzustellen, der als Kirchenfürst, Politiker und Gelehrter eine ausserordentlich reiche Thätigkeit entfaltet hat. Sie will die Bedeutung Hinkmars nach allen diesen Richtungen schildern.
Das Leben dieses Reimser Erzbischofs reicht über den Rahmen der Geschichte seines Bistums weit hinaus. Darum musste die all- gemeine Entwickelung des westfränkischen Reiches in ihren wich- tigsten Zügen verfolgt werden, musste das Verhältnis Hinkmars zu den karolingischen Fürsten und ihrer Politik dargelegt werden. Ob dieses überall in dem richtigen Masse geschehen ist, darüber mögen Kundige urteilen. Wenn mitunter die Person des Reimser Staats- mannes vor dem reichsgeschichtlichen Hintergrunde zu verschwinden scheint, so liegt dies nicht an der Bedeutungslosigkeit seines politischen Wirkens, sondern an der Dürftigkeit der Nachrichten, die sein Ein- greifen im einzelnen nur selten mit genügender Bestimmtheit er- kennen lassen.
Dass die litterärhistorische Seite und überhaupt die geistigen Bewegungen stärker hervortreten, bringt die Eigenart des Gegen- standes und die Natur der Quellen mit sich, die zum grössten Teile in den eigenen Schriften des Erzbischofs vorliegen. Die Zusammen- stellung der patristischen Litteratur und der Rechtsquellen, welche Hinkmar nach Ausweis seiner Werke kannte, sollte nicht nur seine wissenschaftliche Bedeutung kennzeichnen, sondern auch an einem Beispiele zeigen, wie weit die litterarischen Kenntnisse jener Zeit sich erstreckten. Ich suchte damit einem Wunsche zu entsprechen, den ein hervorragender Kenner des neunten Jahrhunderts schon vor zwanzig Jahren äusserte^).
1) Dümmler im Literar. Centralbl. 1864. Sp. 1198.
IV
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Die beigegebenen Regesten sind aus dem Versuche entstanden, die ungefähre Abfassungszeit jener Briefe Hinkraars festzustellen, deren Inhalt in den kurzen Referaten Flodoards zwar nur angedeutet ist, die aber von historischem Werte sind. Wenn auch meine An- nahme, dass der Reimser Geschichtschreiber innerhalb gewisser Grenzen eine chronologische Anordnung seiner Regesten befolgt hat, keine Zustimmung finden sollte, so darf ich mit Rücksicht auf die selb- ständig aus ihrem Inhalte chronologisch bestimmten Briefe doch viel- leicht hoffen, dass die aufgewandte Mühe nicht ganz vergebens ge- wesen ist. Die Einreihung sämtlicher, auch der für die Geschichte bedeutungslosen, Briefe möge man dem Wunsche zu gut halten, ein vollständiges Verzeichnis zu geben und so einen Einblick in das viel- seitige Wirken des Metropoliten zu gewähren.
Von der neuen Bearbeitung der Jaife'schen Papstregesten konnte ich die drei ersten, bis zum Jahre 866 reichenden, Lieferungen noch während des Druckes benutzen. Die entsprechenden Nummern der ersten Auflage sind in Parenthese beigesetzt. Dagegen war es mir leider nicht mehr möglich, die neue Ausgabe der Bertinianischen An- nalen*) zu verwerten. Ebenso kam der dritte Band von Jungmanns kirchenhistorischen Dissertationen^), dessen ausführliche Abhandlung über Pseudo-Isidor zu berücksichtigen gewesen wäre, zu spät in meine Hände. Jungmann schliesst sich (S. 302 — 306) der Auffassung an, dass Papst Nikolaus I. die pseudo-isidorische Sammlung wirklich ge- kannt, wenngleich nicht seine Rechtsgrundsätze aus derselben geschöpft hat, und vertritt ferner (S. 275 — 282) die auch von mir verteidigte Ansicht, dass Hinkmar an der Echtheit der falschen Dekretalen nicht gezweifelt hat.
Es war meine Absicht, das gesamte geschichtlich verwendbare Material, das die Quellen über Hinkmar bieten, zur Darstellung zu bringen und so eine Vorarbeit und einen Beitrag zur Geschichte des neunten Jahrhunderts zu liefern. Aus diesem Gesichtspunkte möchte die vorliegende Schrift nach Form und Inhalt beurteilt werden. Hätte ich ein abgerundetes, nach den strengen Gesetzen historischer Kunst entworfenes Lebensbild geben wollen, so hätte freilich einiges kürzer gefasst, manches übergangen, anderes hinzugefügt werden müssen, und wäre das Ganze hie und da anders anzuordnen gewesen. Ob ein solcher Plan bei der Sprödigkeit des Stoffes und der lückenhaften Ueber-
2) Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum ex Mon. Germ. hiat. recnai. Annales Bertiniani. Rec. G. Waitz. Hannov. 1883.
3) Dissertationes selectae in historiam ecclesiasticam. Tom. III. Eatis- bonae 1882.
lieferung überhaupt möglich gewesen wäre, möge dahin gestellt bleiben. Ist doch über den Innern Entwickelungsgang des Metropoliten und über seine persönlichen Verhältnisse im engern Sinne so gut wie nichts bekannt, iind erschöpft sich sein äusseres Leben fast gänzlich in Kämpfen, die zeitlich getrennt verlaufen, und deren konkreten innem Zusammenhang keine Quelle aufdeckt. Was Newraan*) im Hinblick auf die Kirchengeschichte des vierten Jahrhunderts bemerkt, gilt auch von der Geschichte Hinkmars: „This is a world of conflict, and of vicissitude amid the conflict".
München, am Tage des hl. Thomas von Aquin 1884.
H. Sehrörs.
4) The church of the Fathers. Introduction (Historical Sketches. London 1881. II, 1). ■
Inhaltsangabe.
Einleitung:. S. 1—8. Karl der Grosse, Nikolaus I., Hinkmar von Reims. S. 1 — 3. Die sich im 9. Jahrhundert unter dem fränkischen Volke vollziehende Umbildung staat- licher und kirchlicher Verhältnisse. S. 4 — 6. Die Biographien Hinkmars und die Quellen. S. 6—8.
I. Abschnitt.
Von Hinkmars Anfängen bis znm Koblenzer Frieden und der Synode Ton Tousy (860). — Zeit der Befestigung seiner Stellung in Reims, des wachsenden politischen Einflusses und der dogmatischen Kämpfe. S. 9 — 174.
1. Kapitel.
Die Jugend Hinkmars und sein Leben bis zur Besteigung des erz- bischöfHchen Stuhles (845). S. 9—26.
Geburt, Abstammung, Erziehung in St. Denis. S. 9 — 12. Am Hofe Ludwig des Frommen. S. 12 — 15. Gh-ossfränkische Politik. S. 15 — 19. Sturz und Begnadigung Hilduins. S. 2Ö — 21. Hinkmar in St. Denis. S. 21 — 23. Im Dienste Ludwig des Frommen und Karl des Kahlen. S. 24 — 26.
2. Kapitel.
Erzbischof Ebo von Reims. Hinkmars Wahl und Weihe. Sein Wirken während der ersten Jahre seiner Amtsführung. S. 27 — 50.
Ebo, seine Absetzung, Restitution und abermaliger Sturz. S. 27 — 35. Vakanz des Erzbistums und Erhebung Hinkmars. S. 35 — 39. Reformsynoden; der Reichstag von Epemay. S. 40 — 47. Restitution der Reim ser Kirchengüter ; Reformeifer Hinkmars. S. 48 — 50.
3. Kapitel.
Der Kampf Hinkmars mit Kaiser Lothar, Ebo und den von diesem geweihten Reimser Geistlichen. S. 50 — 71.
Kaiserliche Politik ; Lothars und Ebos Anschläge gegen Hinkmar. S. 50 bis 54. Freundschaft zwischen dem Kaiser und dem Erzbischofe; Versuch, für Hinkmar ein päpstliches Vikariat zu erlangen. S. 55 — 58. Streit mit Kaiser
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und Papst wogen des Vasallen Fulkrich. S. 58 — 60. Die Reimser Kleriker und die Synode von Soissons. S. 61 — 65. Verhandlungen mit dem römischen Stuhle über die Bestätigung der Soissoner Synode. S. 66—71.
4. Kapitel.
Das Wirken Hinkmars für Kirche und Staat vom Soissoner Koncil (853) bis zum Koblenzer Frieden (860). S. 71—88.
Bund Karl des Kahlen mit der Kirche, S. 71 — 75. Empörungen der •westfränkischen Grossen. S. 75 — 78. Einfall Ludwig des Deutschen in West- franken. S. 79 — 80. Hinkmars Sendschreiben an ihn. S. 80 — 83. Ludwigs Rückzug und Friedensverhandlungen. S. 83—86. Hinkmars Bemühungen um die Herstellung der öffentlichen Sicherheit. S. 87 — 88.
5. Kapitel.
Der Streit über die Prädestination. Das Auftreten und die Verur- teilung des Mönches Gottschalk. S. 88—108.
Wissenschaftliche Bewegung und theologische Streitfragen im 9. Jahr- hundert. S. 88 — 90. Gottschalks Jugendgeschichte und Charakter. S. 90 — 96. Gottschalk in Italien; Briefe Hrabans an Noting und Eberhard. S. 97 — 101. Verurteilung Gottschalks in Mainz und Quierzy. S. 102 — 104. Hinkmar und Gottschalk; die zwei Glaubensbekenntnisse des letzteren. S. 105 — 108.
6. Kapitel.
Der Streit über die Prädestination. Der literarische Kampf bis zum Koncil von Quierzy (853). S. 108—126.
Opposition gegen Hinkmar und Hraban. S. 108 — 109. Briefe des Lupus und Prudentius an Hinkmar. S. 109 — 111. Ratrams Schrift über die Präde- stination. S. 111 — 112. Lupus' Brief an Karl d. K. und seine Abhandlung „lieber die drei Fragen". S. 112 — 114. Schrift des Skotus über die Präde- stination. S. 115 — 116. Gegenschriften gegen Skotus. S. 117 — 119. Der Sermo des Florus und der Brief des Amolo an Gottschalk. S. 119 — 121. Die Schrift „De tribus epistolis". S. 121 — 125. Fruchtlosigkeit des bisherigen Streites. S. 125—126.
7. Kapitel.
Der Streit über die Prädestination. Der synodale Kampf und der
Ausgang. S. 126—150.
Die Kapitel der Synode von Quierzy. S. 126 — 128. Die Schrift „De tenenda immobiliter scripturae veritate". S. 128 — 133. Die Kapitel des Koncils von Valence. S. 134 — 136. Das erste Werk Hinkmars über die Prädestination. S. 136—137. Die Kapitel des Prudentius. S. 138—140. Die Synoden von Langres und Savonieres. S. 140 — 141. Das zweite Werk Hinkmars über die Prädestination. S. 142—148. Das Koncil von Tousy. S. 148—150.
8. Kapitel.
Der Streit über den Ausdruck „trina deitas". Hinkmars Theologie im allgemeinen. S. 150 — 174.
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Erstes Auftauchen der Trinitätsfrage. S. 150—152. Gottschalks Lehre von der Trinitilt. S. 153—156. Die Schrift Hinkmars „De una et non trina deitate*. S. 157—159. Die letzten Schicksale Gottschalks. S. 160—161. Hink- mars Stellung zu den übrigen theologischen Zeitfragen. S. 161—164. Hink- mars Lehre von der Kirche und vom Primate. S. 165 - 166. Seine Exegese. S. 166. Die von ihm citierten patristischen Werke. S. 167—173. Seine An- sicht von der Tradition. S. 173—174.
II. Abschnitt.
Vom Koblenzer Frieden (860) bis znm Tode Karl d. K. (877). — Zelt der hervorragend politischen Thätiglieit Uinkmars and der kirchlichen Ver- fassungskUmpfe. S. 175—380.
9. Kapitel.
Die Ehescheidungsfrage Lothar II. und der Thietberga anf den beiden Aachener Synoden des Jahres 860. S. 175 — 188.
Die Königin Thietberga und die Konkubine Waldrada ; Lothars Versuch, eine Ehescheidung herbeizuführen. S. 176 — 178. Die erste Aachener Synode S. 179 — 181. Vorbereitungen für die folgende Synode. S. 181 — 184. Die zweite Aachener Synode. S. 184—186. Die Haltung Hinkmars. S. 187—188.
10. Kapitel.
Hinkmars Gutachten über die Ehescheidung des Königs Lothar. S. 188—205.
Die lothringischen „Fragen". S. 188 — 189. Kritik der beiden Aachener Synoden. S. 189—190. Die Ordale. S. 190—192. Die Beichte der Königin; Kritik der Parallele zwischen dieser und dem Geständnisse der Königin. S. 192 bis 193. Die Kompetenz des geistlichen und weltlichen Gerichtes. S. 193 bis 196. Das Verbrechen der Königin; Art der gerichtlichen Untersuchung über dasselbe. S. 196—197. Der Incest als Ehehindernis. S. 198—199. Lothars Verhältnis zu Waldrada. S. 200 — 201. Neue lothringische Fragen und deren Beantwortung. S. 202—204. Erfolg der Hinkmar'schen Schrift. S. 205.
11. Kapitel.
Zwei andere eherechtliche Gutachten Hinkmars. Seine Theorie über Wesen und Zustandekommen der Ehe. S. 206 — 221.
Die Eheangeltgenheit der Gräfin Engeltrud. S. 206—209. Hinkmars Denkschrift über dieselbe. S. 209—210. Der Ehestreit des Aquitaniers Stefan. S. 211—212. Das Gutachten Hinkmars über denselben. S. 212—213. Das Wesen der Ehe. S. 213—214. Die Form der Eheschliessung. S. 214—216. Die Bedeutung der ,copula*. S. 216—217. Die Bedingungen für die Auflös- lichkeit der Ehe. S. 218—219. Hinkmars Entscheidung über die Ehefrage Stefans. S. 219—220. Seine Schrift gegen den Frauenraub. S. 221.
12. Kapitel.
Hinkmars politisches Wirken von 860 bis 865. S. 222—236.
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S. 222 — 225. Fernere Entwickelung des Lotharischen Ehestreites ; die Synoden von Aachen und Metz. S. 225 — 227. Die Entführunfif der PrinzeHsin Judith. S. 227- 228. Der Streit über die Wiederbesetzung des Bistums Cambrai. S. 228 bis 229. Bund Lothars mit Ludwif^; Verhandlunr^en beider mit Karl in Savo- niferes. S. 221) — 231. Krisis in Lothringen und Anschluss Ludwigs an Karl. S. 232—233. Papst Nikohius weist die Gelüste Karls auf Lothringen zurück. S. 233—234. Innere Geschichte Westtrankens. S. 234—236.
13. KapiteL
Hinkmar und Bischof Rothad von Soissons. Der Kampf mit Papst Nikolaus I. um die oberstrichterliche Gewalt über Suffraganbischöfe. S. 237—270.
Die Persönlichkeit Rothads; sein V^erhältnis zu der pseudo-isidorischen Partei. S. 237 — 239. Opposition Rothads gegen den Erzbischof und den König. S. 239 — 240. Seine Ausschliessung von der bischöflichen Gemeinschaft und die Veranlassung hierzu. S. 241 — 242. Verhandlungen gegen ihn in Pistes ; seine Absetzung auf der Synode von Soissons. S. 243 — 245. Papst Nikolaus I. nimmt sich der Sache Rothads an. S. 245 — 246. Bischof Odo von Beauvais reist als Gesandter Hinkmars nach Rom ; die Antwortschreiben des Papstes. S. 247 — 249. Hinkmars Gesuch um Bestätigung der Reimser Privilegien; Gewährung des- selben. S. 249 — 252. Legation des Diakons Liudo nach Rom ; Beschluss, Rothad dorthin zu senden. S. 253. Schreiben Hinkmars an den Papst. S. 254 — 257. Reise des Bischofs von Soissons nach Rom; seine Restitution. S. 257 — 258. Nikolaus' Rundschreiben an die gallischen Bischöfe. S. 258 — 261. Seine Briefe an Hinkmar, Karl d. K. und den Klerus von Soissons. S. 261 — 262. Der Rechtsstandpunkt Hinkmars. S. 263 - 264. Der Rechtsstandpunkt des Papstes. S. 264 — 267. Die Legation des Bischofs Arsenius von Horta. S. 268 — 269. Trübe Stimmung Hinkmars. S. 269 — 270.
14. Kapitel.
Die Restitution der abgesetzten Reimser Geistlichen. Papst Nikolaus und das Koncil von Soissons (866). S. 270—292.
Nikolaus nimmt sich der Sache der abgesetzten Reimser Geistlichen an. S. 270—272. Getrübtes Verhältnis Hinkmars zum Könige. S. 273. Wulfad. S. 273—275. Sein Verhältnis zu Pseudo-Isidor. S. 275—276, Bemühungen Karls, Wulfad das Erzbistum Bourges zuzuwenden. S. 276 — 277. Die Synode von Soissons; die Denkschriften Hinkmars. S. 277 — 279. Brief Hinkmars an Nikolaus. S. 280. Seine Instruktion für den Gesandten Egilo. S. 281—282. Die Antwortschreiben des Papstes. S. 283 — 285. Das Unterwerfungsschreiben Hinkmars. S. 286—287. Die Synode von Troyes. S. 287—289. Nikolaus' Tod; sein Charakter. S. 290 — 291. Hadrianll. ; Beendigung der Wulfad'schen Streitig- keiten. S. 291—292.
15. Kapitel.
Hinkmar und Karl d. K. Die Erwerbung Lothringens. Der Aufstand Karlmanns. S. 293—315.
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Annäherun*,' Lothars an «eine beiden Oheime. S. 298—294. Hinkmars /»'iwürfnis mit Karl. S. 294—295. Der Beneficialstreit Hinkmars von Laon mit dem Könige und die Denkschrift des Erzbischofs hierüber. S. 295—302. Karls ent«chiedenere Stellung gegen Lothringen und Hinkmars Beteiligung an dieser Politik ; Verständigung zwischen Karl und Ludwig. S. 302—305. Lothars llomfahrt und Tod. S. 305—306. Die Besitzergreifung Lothringens und Karls Krönung durch Hinkmar. S. 306—307. Vergebliche Warnungen und Proteste des Papstes. S. 307—309. Hinkmars Schreiben an Hadrian. S. 809—311. Politische Notwendigkeit der Teilung Lothringens und spezieller Gewinn Hink- mars; seine erfolgreichen Bemühungen, den westfränkisch gesinnten Bertulf auf den Trierer Stuhl zu bringen. S. 311—813. Der Aufstand Karlmanns. S. 313—315.
16. Kapitel.
Der Bischof Hinkmar von Laon. S. 815—853.
Neuer Kampf gegen die pseudo-isidorische Partei. S. 315. Charakter des Jüngern Hinkmar und sein Verhältnis zu den Pseudo-Tsidorianern. S. 316 bis 318. Die von dem altern Hinkmar beanspruchten Metropolitanrechte. S. 318 bis 322. Die Provinzialverfassung nach^Pseudo-Isidor. S. 322 — 323. Konflikte der beiden Hinkmare. S. 324 — 325. Hinkmars von Laon Streit mit dem Könige. S, 325 —328. Seine Verhaftung und das Interdikt über die Diözese Laon. S. 328 bis 329. Neue Angriffe des jungem Hinkmar gegen den Oheim ; seine Samm- lung pseudo-isidorischer Dekretalen. S. 330 — 331. Hinkmars von Reims „Opus- culum LV capitulorum". S. 331 — 834, Verhandlungen zwischen Oheim und Neffen auf der Synode von Attigny. S. 335 — 336. Abermaliger Streit des Laoner Bischofs mit dem Könige. S. 336 — 337. Antwort desselben auf das Kapitelwerk Hinkmars. S. 338 — 339. Aussöhnung und neuer Zwist Hinkmars von Laon mit Karl d. K. S. 340. Verurteilung des Bischofs auf der Synode von Douzy. S. 340 — 343. Das Synodalschreiben und die Briefe Hinkmars und Karls an den Papst. S. 343 — 344. Die Antwortschreiben Hadrians. S. 844 bis 346. Entgegnung der Bischöfe auf das päpstliche Schreiben. S. 346 — 347. Heftiger Brief Hinkmars an Hadrian. S. 347 — 348. Nachgiebigkeit des Papstes. S. 349—351. Die Translation des Bischofs Aktard von Nantes. S. 851—352. Hinkmars Schriftchen über die Translation der Bischöfe. S. 352 — 353.
17. KapiteL
Das Kaisertum Karls und die Synode von Pontyon. S. 358 — 380.
Kömerzug Karls. S. 353 — 354. Hinkmars Rundschreiben wegen des Ein- falles Ludwigs in Westfranken. S. 355 — 357. Ludwigs Vordringen und Zurück- weichen. S. 357. Ernennung des Erzbischofs Ansegis von Sens zum päpst- lichen Vikar für Frankreich und Deutschland. S. 358—859. Bestätigung der Absetzung Hinkmars von Laon durch Johann VIII.; päpstliche Legaten in Deutschland. S. 360. Die Synode von Pontyon. S. 361—362. Hinkmars Kritik des neuen Treueides. S. 363—364. Schluss der Synode von Pontyon. S. 364 bis 365. Hinkmars Schrift ,De iure metropolitanorum". S. 366 — 370. Die An- sicht Hinkmars über die Stellung der gallischen Metropoliten. S. 370—371. Vereitelung des Ansegis'schen Vikariates. S. 372. Zunahme der Appellationen an den Papst. S. 372—373, Hinkmars Denkschrift „De iudiciis et appel-
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lationibus episcoporum et presbyterorum". S. -57:} — •J74. Seine Schrift «De presbyteris criminosis". S. 375. Fortdauernder Widerstand Hinkmarn gegen die Politik Karls. S. 37(5. Karls zweiter italienischer Zug und Tod; Charak- teristik seiner Regierung. S. 377 — 378. Hinkmars Verhältnis zu Karl; die Vision Bernolds. S. 378—380.
III. Abschnitt.
Vom Regiernugsantritte Ludwig des Stammlers (877) bis zum Tode Hinkmars (8S2). — Hinkmar als Politiker, Kanonist und Historiker. Seine Wirksamkeit für die Diözese Keims. S. 381—475.
18. Kapitel.
Hinkmars politische Ideen. Seine Ermahnungsschriften für Karl d. K.
,S. 381-389.
Verhältnis von Kirche und Staat. S. 381 — 383. Die Idee eines fränki- schen Gesamtreiches. S. 383 — 384. Ursprung der weltlichen Gewalt. S. 384 bis 385. Die Würde und Pflicht des Königs. S. 385. Hinkmars Schrift „De regis persona et regio ministerio". S. 385 — 388. Seine Schrift „De cavendis vitiis et virtutibus exercendis". S. 388 — 389.
19. Kapitel. Hinkmar und die Rechtsquellen. S. 389—415.
Der Codex Dionysio-Hadrianeus. S. 389 — 390. Die von Hinkmar citierten Quellen des kanonischen Rechts. S. 391 — 398. Seine Kritik der gefälschten Rechtsquellen. S. 398—400. Hinkmar und Pseudo-Isidor. S. 400—401. Die Gesetzgebung der Koncilien. S. 401 — 402. Das Dekretalenrecht. S. 402 — 405. Die gallikanische Theorie. S. 406. Die Widersprüche unter den Rechtsquellen. S. 406 — 408. Hinkmar und das weltliche Recht. S. 409. Die von ihm citierten Quellen des römischen Rechts. S. 410 — 413. Ob Hinkmar den vollständigen Codex Theodosianus kannte? S. 414 — 415.
20. Kapitel.
Hinkmars Wirken unter den Nachfolgern Karl des Kahlen (877 — 882). S. 415—444.
Unsicherheit der Thronfolge. S. 415 — 416. Hinkmars Ratschläge an Ludwig den Stammler. S. 417 — 418. Befolgung derselben; Hinkmars Unter- stützung. S. 418 — 419. Verzweifelte Lage des Papstes. S. 420. Johann VIII. in Westfranken. S. 421—422. Die Synode von Troyes. S. 422—423. Die Be- gnadigung des Bischofs Hinkmar von Laon. S. 424. Angriffe der Pseudo- Isidorianer auf Hinkmar von Reims. S. 425 — 426. Misserfolg der. Reise des Papstes. S. 426. Hinkmar und König Ludwig. S. 426—427. Die Söhne Lud- wigs; Verschwörung gegen ihre Thronfolge. S. 427 — 428. Angriffe des deut- schen Ludwig auf Westfranken und Hinkmars Verhalten. S. 429 — 431. Be- drohte Lage im Innern. S. 431. Hinkmars Hoffnungen auf Karl den Dicken. S. 431 — 433. Das Synodalschreiben von Fismes. S. 434. Kampf um die Frei- heit der Bischofswahlen. S. 435 — 436. Der Streit über die Besetzung des Bis-
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tums BoauvjiiH. S. 436—439. Hinkmar und König Ludwig (III.). S. 440. Hinkmar« Schrift über die Pfalzordnung. S. 440—441. Traurige Lage des Kelches. S. 442. Hinkniars Mahnschreiben an den König und die Stände. S. 443-444.
21. Kapitel.
Hinkmar als Historiker. S. 444 — 457.
Die von Hinkmar citierten Geschichtswerke. S. 444. Seine historischen
Kenntnisse und kritische Befähigung. S. 445. Die „Vita S. Remigii". S. 446
bis 451 Dio Akt.'Ti (l.'s hl. Sanctinus. S. 454— 455. Die Annalen. S. 455-457.
22. Kapitel.
Das Wirken Hinkmars für seine Diözese. Seine Bildung im all- gemeinen. Sein Privatleben. S. 457 — 475.
Die Diözese Reims. S. 457. Ein Pastoralschreiben Hinkmars. S. 458. Die Reimser Diözesansynoden und Statuten. S. 458 — 460. Hinkmars Sorge ttir die Verehrung der Heiligen. S. 460 — 461. Seine Bemühungen um den Schmuck der Kirchen. S. 462. Seine Sorge für das Kirchengut. S. 463 — 464. Die Kämpfe gegen die Verletzer der Reimser Güter. S. 464 — 465. Das prak- tische Wirken und die Wissenschaft bei Hinkmar; seine geistige Begabung. S. 465 — 466. Kenntnis der römischen Literatur. S. 466 — 467. Dichterische Versuche. S. 468. Sein Prosastil. S. 469—470. Literarische Schaffenskraft. S. 470. Seine Krankheiten und sein Tod. S. 470—471. Sein Grab. S. 471 bis 472. Allgemeine Charakteristik Hinkmars. S. 472 — 473. Urteile der Ge- schichtschreiber über ihn. S. 473—475.
Anhang.
I. Ueber den Zeitpunkt der Uebertragung des Bistums Hildesheim an Ebo. S. 476—480.
II. War die Lehre Gottschalks häretisch? S. 480—490.
III. Die Echtheit des Synodalurteils von Quierzy (849). S. 490—494.
IV. Echtheit und Abfassungszeit zweier Briefe Hrabans an Hinkmar. S. 494—499.
V. Hinkmars Ansicht von der Kompetenz der weltlichen Gerichts- barkeit in Ehesachen. S. 499—504.
VI. Hat Hinkmar die Unechtheit der pseudo-isidorischen Dekretalen erkannt? S. 504—507.
VII. Die angeblichen Fälschungen und Erdichtungen Hinkmars. S. 507 bis 512.
Vm. Die Regesten Hinkmars. S. 512—588. Vof bemerk un gen. S. 512—517. Registrum Hincmari. S. 518 — 561. Anmerkungen. S. 561—588.
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Einleitung.
Da« neunte Jahrhundert der abendländischen Geschichte ist nicht reich an grossen historischen Charakteren, an Persönlichkeiten von universaler Bedeutung. Wohl gab es nicht wenige, die in ihrem Kreise und nach der einen oder andern Richtung Treffliches geleistet haben , deren Namen in der kirchlichen , politischen und Kulturge- schichte ehrenvoll genannt werden. Aber der hohen , scharf ura- rissenen Gestalten voll markiger Kraft, deren Leben das Gepräge zielbewussten Wollens und umfassenden Wirkens trägt, treten uns nur drei entgegen: Karl der Grosse, Nikolaus [. und Hinkmar von Reims. Der gewaltige Frankenkaiser und der grosse Papst sind verwandte Erscheinungen; beide sind geborene Weltbeherrscher, genial angelegte Geister, die für eine weite Zukunft die Fundamente der welthistorischen Entwicklung legen. Eine ganz anders geartete Natur zeigt der Reimser Erzbischof. Als praktischer Staatsmann, als Metropolit und als Gelehrter behauptet er ohne Zweifel die erste Stelle unter seinen Zeitgenossen, aber sein Denken und Thun reicht nirgends über den Gesichtskreis seines Jahrhunderts hinaus. P> ist mehr ein Kind der Zeit, als ihr vorauseilend und die Bahnen weisend. Und dennoch muss man ihm für die grosse Wendung, welche die Geschichte des Abendlandes im 9. Jahrhundert nimmt, in mancher Hinsicht nicht geringere Bedeutung beimessen als dem vielbewunderten karolingischen Herrscher und dem gebietenden Hohepriester auf St. Peters Stuhl.
In Karl d. G. gelangte eine vielhundertjährige Entwickelung zum Abschlüsse. Nachdem der von Osten und Norden hereinbrechende Strom der Völkerwanderung die staatlichen und gesellschaftlichen Bildungen des Altertums zerstört hatt«^, begannen allenthalben auf dem durch germanische Kraft wieder befruchteten Boden sich die Keime zu neuem Leben zu regen. Viele der frisch aufblühenden Schöpfungen verkümmerten zwar in der Stickluft byzantinischen Wesens oder unter den Eroberertritten des Islam, aber in dem west-
Schrörs, Hinkmar von Reims. 1
2 Karl (1. <1. Nikolaus I.
liehen 1111(1 mittleren P^mopa und in Italic^n schlug die christlich-ger- inunische Kultur tiefe und hd>enskräftige Wurzeln. Was hier in langsamem, stillem Werden und Wachsen sich herangebildet hatte, zu einer grossen und einheitlichen Weltordnung zusammenzufügen, das war die Aufgabe, welche die karolingische Zeit übernahm. Ihre Losung hatte Chlodovech durch Gründung des fränkischen Reiches vorbereitet, und als es Karls mächtigem Arme und noch mächtigerem Geiste gelang, von Ungarn und den slavischen Grenzmarken bis zum atlantischen Ozean, von der Nordsee bis nach ünteritalien und bis an den Ebro dem Namen der Franken Achtung zu erzwingen und diesem riesigen Körper Leben und Kraft einzuflössen, war das Ziel erreicht. Die zerstreuten germanischen Stämme fanden sich in einem einheitlichen und wohlgegliederten Organismus vereinigt, wurden da- durch auf die Höhe christlicher Gesittung und Bildung emporgehoben und zu staatsbildenden Elementen umgewandelt. Nach fünfzigjährigem Bestände hatte das karolingische Weltreich diesen Zweck erfüllt und musste nun als hemmende Form zerbrochen werden. Aber das, was in dem Gedanken einer christlichen Universalmonarchie an sich be- rechtigt war und eine über den nächsten Zweck hinausragende Be- deutung besass, wurde in dem Imperium für die Zukunft bewahrt. Durch die Erneuerung der Kaiserwürde und durch seine civilisatorische Wirksamkeit unter den germanischen Völkern gewann Karl d. G. seine welthistorische Stellung am Anfangspunkte des Mittelalters.
Den andern Pfeiler einzusenken, auf dem die mittelalterliche Welt sich erhob, dem Papsttume jene äussere kirchenpolitische Macht und jenen beheri*sch enden Einfluss im öffentlichen Leben der Völker zu erringen, worin sich der Charakter der mittleren Zeiten offenbart, war die kaum genug gewürdigte That Nikolaus L Durch seine weise und kraftvolle Regierung verstand er es, das Ansehen der römischen Kirche und die Vollgewalt des apostolischen Stuhles im Orient und Occident fürstlicher Willkür und bischöflicher Anmassung gegenüber zu thatsäch lieber Anerkennung zu bringen. Die wenigen Jahre seines glänzenden Pontifikates haben zwar nicht hingereicht, um das grosse Werk allseitig zu vollenden und den Nachfolgern als gesichertes Erbe zu überlassen ; dazu fehlten in der nächsten Folgezeit vor allem noch die äussern Bedingungen. Aber nichts desto weniger hat Nikolaus den Grund gelegt, auf dem ein Gregor VII fortbauen konnte; er zu- erst hat die Ideen des mittelalterlichen Papsttums geltend gemacht. Mit ihm und Karl d. G. bricht erst die Zeit des Mittelalters im eigentlichen Sinne au; die vorausgehenden Jahrhunderte sind nur An- bahnung und Vorbereitung.
Hinkmars universale Bedeutung. ^
In dem Unibildunfijsprocesse nun, der um die Mitte des 9. Jahr- hunderts auf allen Gebieten beginnt, spielt Hinkmar von Reims eine ganz eigentümliche Rolle. Bloss nach einer Richtung ist er dem Zuge der Zeit gefolgt, indem er das Streben der Kirche nach innerer Kräftigung und grösserer Freiheit gegenüber der staatlichen Gewalt mit hingehendstem Eifer und erfolgreich förderte. Sonst stellte er sich mehr hemmend als treibend, mehr rückwärts schauend als mit weitem Blicke zukünftige Ziele ins Auge fassend den vorwärts drän- genden Geistern entgegen. Eine entschieden konservativ angelegte Natur, war er jeglichem, was ihm als Neuerung erschien, in tiefster Seele abhold und bekämpfte es mit der ganzen ihm eigenen Energie. Dadurch ist sein Leben in zweifacher Hinsicht von hoher Bedeutung für die Geschichte geworden. . Einmal würde sich ohne seinen Wider- stand die Umwandlung der wichtigsten Verhältnisse mehr oder minder unbemerkt vollzogen haben, während jetzt sein Versuch, die Bewegung zurückzudämmen , die Gegensätze zwischen dem Alten und Neuen schärfer zu Tage treten liess, als es vielleicht sonst der Fall gewesen wäre. Sodann hatte die Opposition eines Mannes, dem wie Hinkmar ein so weitreichender amtlicher und persönlicher Einfluss und eine so seltene Thatkraft und Begabung zu Gebote stand, das Gute, dass sie dem allzu stürmischen Drange heilsame Zügel anlegte. Hinkmar hat sich, allerdings ohne es selbst zu wissen, das Verdienst erworben, dass tiefgreifende Umgestaltungen sich langsamer und ohne gefähr- liche Erschütterungen vollzogen. Dadurch nimmt seine Persönlich- keit und sein Wirken einen grossen historischen Charakter an.
Es ist zwar richtig, dass die Thätigkeit des Reimser Erzbischofs auf die Grenzen des westfränkischen Reiches im ganzen beschränkt blieb, aber gleichwohl kommt ihr eine weit allgemeinere Bedeutung zu. Denn was in Frankreich vorging, wirkte auf das übrige christ- liche Abendland zurück. Die Länder zwischen Seine und Rhein, die Sitze des herrschenden Stammes der salischen Franken, bildeten das Quellgebiet für die Kulturentwickelung Mitteleuropas. So war es das Mittelalter hindurch bis in die neuere Zeit'), und auch für das 9. Jahr- hundert bewährt sich dieses Gesetz der historischen Entwickelung. Während Italien kraftlos nach Erhaltung des Bestehenden ringt. Spanien unter dem Drucke der maurischen Herrschaft seufzt, England seine ganze Kraft für die Festigung seiner inneren Zustände und die
1) Es sei hier an einige Thatsachen erinnert. Die scholastische Philo- sophie und Theologie fanden ihre erste Pflege und kamen zur glänzendsten Entfaltung in den Schulen von Bec und Paris. Neben ihnen blühte zugleich die Mystik der Viktoriner empor. Auf demselben Boden haben die ältesten
1*
4 Politisch«' rmu'ostiiltmiLit-n in Wöstfranken.
Sichminj^ scMiMT Küsten jintbirtcn iiiuss, Dciiisililjuid, soweit es nicht ilurch die Kämpfe an der Ostj^renze in Anspru(li genommen ist, das Bild einer selten gestörten Ruhe darbietet, — sind in Westfranken staatliche und kirchliche Zustände im Flusse begriffen, wird dort auf (l(Mi v»>rschiedensten Gebieten der Drang nach Weiterbildung fühlbar.
Im Westen entwickelte sich zuerst und am kräftigsten der nationale Staat. Seine volle Entfaltung gehört allerdings erst dem nächsten Jahrhundert an, aber der Keim, aus welchem er hervor- ging, wurde durch den Vertrag von Verdun gelegt, der das karolin- gische Weltreich zertrümmerte. Der Zeit Hinkmars blieb der Gedanke an einen auf streng nationaler Grundlage ruhenden Staat noch fremd, aber unbewusst steuerte man demselben zu. In parallelem Gange machte sich das Streben des Adels geltend, das germanische Volks- königtum durch den mittelalterlichen Lehnsverband zu ersetzen, und sich als übermächtiges Glied zwischen Krone und Volk zu schieben. Auch diese Tendenz kam zunächst im Westreicjie zum Durchbruche, wo ja auch ihre Ursache, die Säkularisation des 8. Jahrhunderts, welche als die eigentliche Grenzscheide zwischen dem allgemeinen Unterthanenverbande und der entstehenden Feudalität anzusehen ist^), am einschneidendsten gewirkt und die Barone mit dem grössten Be- sitze ausgestattet hatte.
Diese sich vorbereitende Umwälzung rief in der Kirche eine verwandte Strömung hervor. Wie die Vassallen, suchte auch der
Meister gotischer Kunst ihre Dome gebaut, und entstand beim Ausgange des Mittehilters der neue kirchenmusikalische Stil. Französische Mönche waren es ferner, von denen Gregor VII. seine kirchlichen Reformideen empfing. Ebenso ist das Rittertum und die mit ihm im Zusammenhang stehende eigenartige Kulturbewegung zunächst eine Frucht altfranzösischen Geistes, wie ja auch die Helden- und Minnedichtung und die Stoffe, aus denen sie schöpfte, uns meist vom Westen erst überkamen. Und jene an das Rittertum sich anschliessende, die ganze damalige Welt ergreifende Bewegung, die ihre gewaltigen Wellen- schläge bis in den fernen Orient hineintrug, die Kreuzzüge — sie sind ent- sprungen aus dem religiös-romantischen Drange der französischen Nation. Auch das allmähliche siegreiche Vordringen des salfränkischen Rechtes nach Deutsch- land, vor dem alle andern Stammesrechte weichen mussten, ist eine bemerkens- werte Erscheinung, die zwar in ihren Folgen nicht so greifbar hervortritt wie andere, dafür aber um so nachhaltiger auf die innere Entwickelung unseres Volkes eingewirkt hat. Sogar bis auf die Form der Schriftzüge, in welcher uns bekanntlich Frankreich immer um ein halbes Jahrhundert vorausgeeilt ist, erstreckt sich das historische Gesetz, dass der Nordosten Frankreichs ein geistiges Uebergewicht in der germanischen Welt behauptet. Vgl. Sohm in der Zeitschr. d. S^Mviirny- Stiftung für Rechtsgesch. Germanist. Abteil. Bd. 1, Heft 1, S. 3—68. 2) Vgl. Roth, Feudalität und Unterthanenverband. Weimar 1863. S. 73."
Kirchliche Verfassungskiimpfe. 5
Klerus grössere Selbständigkeit und Freiheit zu gewinnen. Die enge Verbindung zwischen Königtum und Priestertuni , welche namentlich die llegiorung Karl d. Cn. konn/i'iclinet , htitte zwar die Erreicliung der beiderseitigen Ziele nüichtig gefördert, allein auf manchen Punkten ging sie fast bis zur Verschmelzung der zwei Gewalten und Schlots deshalb für die Kirche eine bedeutende Gefahr in sich. Mochten auch die Absichten des Kaisers noch so rein , und dieser persönlich der Kirche noch so ergeben sein, für letztere war zu befürchten, dass sie zum blossen Werkzeuge des weltlichen Armes herabsinken und alles eigenartige Leben einbüssen würde. Schon unter Karls Regierung mehrten sich die Anzeichen hiefür ^), und „wäre ein an Herrscher- kraft und Begabung gleicher Mann auf ihn gefolgt, die Kirche würde wohl bald den schweren Druck der staatlichen Ketten empfunden und ihre Knechtschaft bei aller kaiserlichen Gunst beseufzt haben" *). Sobald nun der umspannende Ring des Kaiserreiches gebrochen war, nahmen gerade die westfränkischen Bischöfe den Befreiungskampf auf, während wir aus Lothringen und Deutschland um diese Zeit nichts von solchen Versuchen hören. Dieser Kampf musste aber sofort die Frage hervorrufen, wer an die Stelle der bisherigen staatlichen Ober- leitung treten werde, die Metropoliten, aus deren Mitte sich dann bald ein nationaler Primat herausgebildet haben würde, oder der Papst. Die Metropolitangewalt machte zunächst den Versuch , die weitge- henden Rechte, welche sie sich in Gallien beilegte, jetzt in ihrer ganzen Schärfe durchzuführen und dadurch die vollständige Leitung in die Hand zu bekommen. Wer weiss aber, ob nicht dann das Suffragan- bistum das Schicksal der Grafschaft geteilt haben, und ob nicht wie diese vom Herzogtum , so jenes vom Metropolitanbistum würde auf- gesogen oder doch bis zur völligen Bedeutungslosigkeit würde herab- gedrückt worden sein. Die Bischöfe trachteten in begreiflicher Re- aktion gegen eine solche Gefahr nach freier Bewegung und Erweiterung ihrer Befugnisse und gerieten so in Konflikt mit den Erzbischöfen. Hiebei fanden sie eine kräftige Stütze am römischen Stuhle, dem sich auf diesem Wege die beste Gelegenheit darbot, seine Primatialstellung auch in der gallischen Kirche zu vollerer Anerkennung zu bringen und seine Prärogative gegenüber der aufstrebenden Metropolitangewalt zu behaupten.
Alle diese Bestrebungen , welche sich um das Verhältnis von Kirche und Staat , Suffragan und Metropolit , Partikularkirche und
3) Vgl. Döllinger, das Kaisertum Karl d. G. und seiner Nachfolger (Münchner hist. Jahrbuch. 1865. S. 329-336. 368 f.). ■Ij Döllinger a. a. 0. S. 369.
6 Biographien Hinkmars.
pHpsttiun bewegen , lundeii ihren prinzipiellen Ausdruck und plan- mässige Zusammenfassung in den pseudo-isidorischen Dekretalen^), in denen wir gleichsam das Programm für die Weiterbildung der frän- kischen Kirchen Verfassung zu erblicken haben. Nichts l)eweist so sehr den Umschwung, der sich um die Mitte des 9. Jahrhunderts in der Kirche Westfrankens vollzog, als das Entstehen dieser Sammlung. Eine ähnliche sym2)t()matische Bedeutung muss man auch den theo- logischen Streitigkeiten zuerkennen, welche sieh damals erhoben. Denn auch diese gingen aus einem dunklen Drange nach Reformen auf wissenschaftlichem Gebiete hervor , und von den Männern , welche sich an ihnen beteiligten, hatten einige nahe Fühlung mit der pseudo- isidorischen Partei.
In diese tiefbewegte Zeit fällt das öffentliche Leben Hinkmars. Er bildet den Mittelpunkt aller jener Kämpfe, um seine Person bran- deten ein Menschenalter hindurch die entgegengesetzten Strömungen. Die Geschichtschreibung hat daher seit ihrem Wiedererwachen dem Wirken Hinkmars stets mehr oder minder ihre Aufmerksamkeit ge- schenkt ; keiner , der sich mit einer umfassenderen Darstellung der Geschichte des 9. Jahrhunderts beschäftigte , konnte an der hervor- ragenden Gestalt des Reimser Erzbischofs schweigend vorübergehen. Die neuere Zeit brachte ausserdem manche treffliche Untersuchungen über einzelne Seiten seiner Thätigkeit , die an ihrem Orte genannt werden sollen. Die erste Monographie lieferte Gess*^), dessen Buch aber an Inhalt ziemlich dürftig ist und hauptsächlich Auszüge und Uebersetzungen aus Hinkmar'schen Schriften mit einigen Reflexionen in altprotestantischem Geiste enthält. Es folgten die Arbeiten des Engländers Prichard und des Franzosen Diez'). Das Bedeutendste leistete v. Noorden ^). Sein Werk ruht auf ausgebreiteter und kri- tischer Quellenforschung, leidet aber an dem formellen Fehler, dass die allgemeine politische Geschichte einen un verhältnismässig grossen Raum einnimmt und viel eingehender behandelt wird, als es Hinkmars
5) Vgl. Roth, Pseudo-Isidor (Zeitschr. f. Rechtsgesch. Bd. 5. Weimar 1866. S. 9 ff.).
6) Merkwürdigkeiten aus dem Leben und den Schriften Hinkmars. Göt- tingen 1806.
7) Prichard, The Hfe and times of Hincmar. Littlemore 1849. Diez, De vita et ingenio Hincmari. Agendici 1859. Diese beiden Schriften standen mir nicht zu Gebote. Die Titel sind nach v. Noorden (s. folg. N.) S. VI an- gegeben. Nach der Art wie dieser sie erwähnt, dürften sie wenig bedeutend sein.
8) Hinkmar, Erzbischof von Rheims. Ein Beitrag zur Staats- und Kirchen- geschichte des westfränkischen Reiches in der zweiten Hälfte des neunten Jahr- hunderts. Bonn 1863.
Auagaben der Schriften. 7
politische Stellung erfordert. Von französischer Seite erschienen noch die Djirstelinngen Loiipot's^) und Vidieu\s^^). Der letztere bietet weniger eine kritische und pragmatisch aufgebaute Biographie als eine Reihe halb populär gehaltener Essays.
Die vorzüglichste Quelle für die Geschichte Hinkmars bildet! seine eigenen Werke. Der erste, welcher einen Teil derselben ans Licht zog, war der niederländische Jesuit Joh. Buys, der 1602 neun grössere Briefe veröffentlichte^^). 13 Jahre später gab der Kanonikus Joh. Cordes 15 weitere Briefe und Abhandlungen heraus ^^). Die Gesamtausgabe des Jesuiten Jak. Sirmond ^^) förderte eine grosse Anzahl neuer Stücke zu Tage, schloss aber einige von Cordes bereits mitgeteilte^*) sowie das schon von Surius^^) edirte Leben des h. Re- niigius aus. Sirmond bietet leider über die benutzten Codices keine oder ganz "ungenügende Auskunft und erlaubt sich mitunter stillschweigend Willkürlichkeiten, namentlich indem er selbsterfundene Aufschriften gibt, ohne die handschriftlichen Titel auch nur mitzuteilen^^).
9) Hincmar , archeveque de Reims , sa vie , ses oeuvres, son influence. Reims 1869. Diese Schrift war mir nicht zugänglich.
10) Hincmar de Reims. P]tude sur le IX^ siecle. Paris 1875.
11) Hincraari Rhemensis archiep. epistolae. ed. J. Busaeus. Moguntiae 1602. kl. 4. enthaltend folgende Nummern des Registrum Hincmari (s. unten An- hang Vin) : 417. 495. 571. 572. 358. 387. 407. 508. 420.
12) Opuscula et epistolae Hincmari Remensis archiep. ed. J. Cordesius. Paris 1615, 4« (Reg. Hincm. nn. 282. 139. 140. 194. 204. 825. 326. 287. 327. 415. 416. 410. 500. 501. 504.)
13) Hincmari archiep. Remensis opera. Paris 1645. 2 tomi fol.
14) R. H. nn. 327. 410. 415. 416. 500. 501.
15) Vitae Sanctor. Colon. 1617. tom. I, p. 185 sqq. Bessere, aber abge- kürzte Ausgabe in BoUand. Acta Sanctor. Oct. I p. 131 sqq.
16) Es erhellt dies aus einer Vergleichung mit der Mainzer Ausgabe, aus welcher er abgedruckt hat. Vgl. auch Dümmler, die handschriftl. Ueber- lieferung der Gedichte aus d. Zeit d. Karolinger (Neues Archiv der Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtsk. 1879 Bd. 4 S. 247). — Der Mauriner P. Coustant (Vindiciae veterum codicum contirmatae. Paris 1715 p. 7) erhebt gegen Sirmond den Vorwurf, dass er die bei Hinkmar vorkommenden Citate aus den patristi- schen Schriften eigenmächtig nach den damaligen Väterausgaben geändert habe. Allerdings hat Sirmond tom. II, p. 729 (Wiederabdruck aus Busaeus p. 109) in eine Stelle aus Leo M. ep. ad Dorum Beneventanum (Jatfe n. 417 (195); ed. Ballerin. I, 733) einen Satz eingeschoben, der sich in den altern Ausgaben Leos findet, aber nicht bei Buys. Coustant knüpft daran die Vermutung, dass er ein ähnliches Verfahren auch bei andern Citaten beobachtet habe. Jedoch eine von mir vorgenommene genaue Vergleichung von mehr als der Hälfte der zahl- reichen in der editio princeps vorkommenden Väterstellen mit dem Sirmond'- schen Abdrucke hat diesen Argwohn nicht bestätigt. Es finden sich zwar kleinere Abweichungen, aber dieselben sollen offenbar nur eine Verbesserung
8 Ausgaben der Schriften.
Weitere Briefe Hinkniar.s j>iiblizirten Cellot^') und Labbe^^). Von diesen und den durch Sirniond gesammelten Stücken veranstaltete Migne**) einen neuen Abdruck, den er um die Annalen Hinkmars nach der Pertz'schen Ausgabe ^^) und um die „Vita Remigii" nach dem Texte des Surius vermehrte. Auch diese Gesamtausgabe ist unvoll- ständig: ein Brief bei Delalande ^^), einer bei Mansi^^), ein von A. Mai*') herausgegebenes Gedicht sowie mehrere öffentliche Akten- stücke *^), die höchst wahrscheinlich aus Hinkmars Feder geflossen sind, wurden übersehen ; anderes ist nach ungenauen und lückenhaften Editionen wiedergegeben, obschon bessere längst vorhanden waren ^^). Ueberdies ist die Ausgabe durch Druckfehler und willkürliche An- ordnung entstellt. Das auf Diözese und Kirchenprovinz Keims Be- zügliche findet sich zum grössten Teile bei Gousset^^) gesammelt.
Für die vielen verlorenen Schreiben Hinkniars bilden die kurzen Auszüge Flodoards^') einen wertvollen Ersatz.
der zahlreichen Druckfehler bei Buya sein. Wahrscheinlich hat Sirmond auch bei der erwähnten Interpolation ein Versehen seines Vorgängers angenommen.
17) Concilium Duziacense 1. Paris 1658. 4<^.
18) Sacrosancta Concilia. Paris 1671. tom. VQI p. 1789—1837. Die hier edirten 8 Briefe veröffentlichte Eccard, Corpus historic. med. aevi. Lip- siae 173:1 tom. II p. 375—430 noch einmal als „nunc primum editae".
19) Cursus patrologiae latinae. tom. 125 und 126.
20) Mon. Germ. SS tom. I p. 419—515.
21) Supplem. Concil. Gall. Paris 1666. p. 179.
22) Collectio Concilior. Venet. 1770. tom. XVI p. 584.
23) Classici Auetores. Romae 1833. tom. V p. 452 sqq.
24) Reg. Hincm. n. 160. 284. 345. 346.
25) Wir werden uns deshalb an der Ausgabe Sirmonds halten, die im folgenden einfach mit ^Opp." citirt wird. Mit Hülfe der von Migne bei den grossem Schriften Hinkmars stets angegebenen Paginirung Sirmonds lassen sich die betreffenden Stellen auch in der Migne'schen Ausgabe leicht auffinden.
26) Les Actes de la province eccle's. de Reims. Reims 1842. tom. I. — In einer Brüsseler Handschrift findet sich noch ein ungedruckter Brief Hink- mars (s. Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtsk. Hannover 1837. Vn, 866), und der Pariser Codex 3549 (ol. S. Martial. Lemov.) soll .Versus Hincmari (??) ad morum doctrinam pertinentes" enthalten (s. Dümmler a. a. 0. S. 538 n. VI).
27) Historia Reraensis ecclesiae, deren 3. Buch ausschliesslich der Ge- schichte Hinkmars gewidmet ist. Die bisherigen Editionen von Sirmond (Paris 1611), Colvenere (Duaci 1617), Migne (Patrol. lat. tom. 135 — Abdruck des Colvenere\schen Textes), Le Jeune (Reims 1854 2 voll.) sind jetzt durch die jüngst erschienene von Heller und Waitz besorgte Ausgabe (Mon. Germ. SS XTII, 412—599) überholt. Wir werden stets nach der letzteren citiren.
I. Abschnitt.
Von Hinkmars Anfängen bis zum Koblenzer Frieden und
der Synode von Tousy (860). — Zeit der Befestigung seiner
Stellung in Reims, des wachsenden politischen Einflusses
und der dogmatischen Kämpfe.
1. Kapitel.
Die Jugend Hinkmars und sein Leben bis zur Besteigung des erzbischöflichen Stuhles (845).
Wie bei so manchen geschichtlich bedeutenden Männern beginnen erst seit dem Eintritte Hinkmars in das öffentliche Leben die Quellen über ihn in reicherer Fülle zu fliessen. Selbst Flodoard, welcher im Reimser Sprengel und nur 12 Jahre nach dem Tode des Erzbischofs geboren wurde, weiss von den vier ersten Jahrzehnten nur wenige Zeilen zu berichten^), neben denen hie und da eine Urkunde oder eine zufällige Bemerkung in Hinkmars eigenen Schriften kargen Auf- schluss gewährt.
Die Stätte seiner Geburt lässt sich nicht genau ermitteln; wahr- scheinlich ist sie in den nordöstlichen Gauen Frankreichs zu suchen ^), in denen noch vor Chlodovech die salischen Franken festen Fuss
1) Hist. Rem. eccl. 1. 3 c. 1 p. 475.
2) Die lotharischen Bischöfe (ep. ad Hinein. Mansi XV, 645) werfen ihm vor, dass er vor seiner Erhebung der Reimser Kirche nicht angehört habe. Hätte er nicht einmal durch seine Geburt dieser Provinz, die sich damals von der Marne bis zur Küste des Kanals erstreckte, angehört, so hätten sie dies gewiss hervorgehoben. Hinkmars gleichnamiger Nette stammte aus der Gegend von Boulogne-sur-Mer, weshalb Mabillon, Annal. ordin. S. Benedicti l. 29 n. 46 (Paris 1704. tom. II p. 484, nach welcher Ausgabe in der Folge stets citirt wird) glaubt, dass auch der Oheim dort geboren sei. Unsere Ver- mutung wird durch die Thatsache bestärkt, dass Hinkmar in frühester Jugend dem Kloster St. Denis bei Paris übergeben ward.
10 Geburt.
geliis>l haU«'ii. Au> diesem (jlruiide dürfen wir mutnuissen, dass echtes Frunkeiiblut in seinen Adern floss. Er gehörte einem edlen und be- güterten Geschlechte an') und zählte zu seiner Verwandtschaft die Grafen Hertram von Tardenois"*), dessen Grafschaft von Westen an den Heimser Sprengel stiess, und ßernliard von Toulouse, den Sohn des Kaimund und der Berteiz^). Von seinen nähern Angehörigen kennen wir einen Neffen, den Jüngern Hinkmar, ferner eine Schwester Hildegundis, deren Sohn oder Schwiegersohn mit Namen Evrard, der Eigengut in Alamannien besass ^), und einen Sigebert, den Sohn einer Schwester des Jüngern Hinkmar ^). Von einem Geschwisterkinde des- selben Neffen ist allein der Name Anseimus aufbewahrt ^), und von Hinkmars Mutter wissen wir nur, dass sie in der ersten Hälfte des Jahres 859 aus dem Leben schied ^).
Wann sein Geburtsjahr anzusetzen ist, bleibt ungewiss ^^). Je- doch dürfen wir schliessen, dass seine Kindheit noch weit in die Re- gierungszeit Karls des „grossen Kaisers", wie er selbst ihn nennt *^), zurückreicht, da sein Lehrer ihn schon i. J. 822 dauernd mit sich an den Kaiserhof nehmen konnte.
Frühzeitig ward der Knabe dem Stifte St. Denis zur Erziehung anvertraut und wahrscheinlich gleich anfangs für das Mönchsleben bestimmt^*). Daher genoss er den Unterricht wohl nicht wie jene
3) Flod. 1. c. Mansi XVI, 605. Lupus, ep. 42 ad Hinein. (Migne 119, col. 509 B.): Nobilitatem vestrae generositatis — in vobis et nobilitas et sapientia convenerunt.
4) Flod. 3,26 p. 545.
5) Ib. p. 543. Vgl. Mabillon, Annal. 1. 29 n. 46. 1. 35 n. 104. (t. II, p. 482. III, p.97.) Dieser Bernhard, der von Mitte der sechzigerbis Ende der siebziger Jahre Graf von Toulouse war (s. Anhang VIII, N. 134) ist wohl zu unterscheiden von dem gleichnamigen Markgrafen von Gothien und dem Grafen Bernhard von Auvergne, dem Sohne des Kämmerers Bernhard, vgl. Hincm. Annal. a. 868 und 872 (Mon. Germ. SS. I, 480. 493).
6) Flod. 3,28 p. 553.
7) Mansi XVI, 834.
8) Opp. II, 413.
9) Sie erlebte die Erhebung ihres Enkels auf den Stuhl von Laon, die anfangs 858 stattfand (s. unten Kap. 14 N. 23) um mehr als 1 Jahr und 4 Monate (Mansi XVI, 665).
10) Aeltere und neuere Forscher, z. B. Gess a. a. 0. S. 1 ; Gfrörer, Gesch. d. est- u. westfr. Carolinger. Freiburg 1848. I, 137; Hefele, Conciliengesch. Freib. 1879. 2. Aufl. (nach der immer citirt werden wird) IV, 112 ; v. Noorden a. a. 0. S. 2 nehmen allgemein, aber ohne einen bestimmten Grund anzugeben, das J. 806 an.
11) Opp. I, 612. II, 206.
12) Opp. II, 304. Flod. 3, 1 p 475: A pueritia in monasterio .... monasteriali religione nutritus. Leo IV. ep. ad omnes episc. Galliar. (Die Papst-
St. Denis. 11
Jünglinge, die sich dem Stande des Weltklerus oder der Laien wid- men wollten, in einer besondern Schule ausserhalb der Klausur^'), sondern in der eigentlichen Klosterschule. Es war eine altberühnite Abtei, in der Hinkmar seine Jugendbildung erhielt, die Stätte, wo die gallische Kirche in treuer Verehrung die Leiber ihrer gefeierten ' ersten Glaubensboten hütete. Ihre Anfäuge verlieren sich im Dunkel der Vorzeit, aber mit dem anhebenden 7. Jahrhundert tritt sie als der bevorzugte Schützling merowingischer Könige in der Geschichte hervor, und zur Zeit, als Hinkmar sich ihre Pforten öffneten, zählte sie vielleicht zu den reichsten, jedenfalls zu den angesehensten Klöstern im Frankenreiche ^^). Jedoch unter dem äussern Glänze war der Eifer der Söhne des h. Benedikt erkaltet, und die Zucht wie in manchen Schwesterabteien in so hohem -Grade verfallen, dass die Mönche ihre Ordensregel verlassen hatten und nur mehr nach Art der Kanoniker lebten ^^). In St. Denis scheint das Uebel besonders tief eingedrungen zu sein; denn die Bemühungen des Kaisers Ludwig und der beiden grossen Beförderer der Klosterverbesserung, der Aebte Benedikt von luden und Arnulf von Hermoutier, erwiesen sich hier als erfolglos^ ^). Und schon damals mag der Gedanke, dereinst zur Erneuerung des klösterlichen Lebens in seinem Stifte beizutragen, den wir Hinkmar nachmals verfolgen sehen, die ersten Wurzeln in seiner Seele geschlagen haben. Jedenfalls aber ist das Ringen des alten Ordensgeistes gegen weltliche Erschlaffung nicht ohne Einfluss auf seine Charakterbildung '-,^eblieben, da die seltene Willensstärke, der nie erkaltende Eifer für
briete der brittischen Sammlung. Neues Archiv f. alt. deutsche Geschichtskunde. Bd. 5, Hannov. 1880, S. 390 f) bemerkt zwar: Relatum est apostolatui nostro, <iUod dum H^'ncmarus clericorum haberet habitum , monachicam elegisset vitam ; aber dieses Zeugnis stützt sich auf Berichte, die dem Papste vonseiten der heftigsten Gegner Hinkmars geworden waren, um ihn zu verunglimpfen vgl. unten Kaj). 3.) und die wohl auf die Thatsache angespielt hatten, dass, als H. zu St. Denis eintrat, dort die Mönche nur mehr die Kleidung der Ka- noniker trugen , was er selbst (1. c. : sub canonico habitu educatus) bestätigt.
13) Vgl. Simson, Jahrbb. d. fränk. Reichs unter Ludwig d. F. Leipzig 1874. I, 86.
14) Vgl. Felibien, Hist. de l'abbaye royale de Saint-Denys. Paris 1706. p. 8 suiv., p. 71. Die Urkunde über die Güterteilung zwischen Abt Hilduin u. den Mönchen ib. Preuves n. 72.
15) Ib. p. 68. Simson a. a. 0. I, 84. 143. Mabillon Annal. 1. 29 n. 45 sq. (II, 482) sucht den gänzlichen Verfall der Regel zu bestreiten und vermutet, Hinkmar sei wirklich nur Kanoniker gewesen, etwa bei St. Paul. Dem stehen aber die Zeugnisse Flodoards (s. ob. N. 12) u. Hinkmars (opp. II, 304: Con- versis autem ad regulärem vitam et habitum fratribus) entgegen.
16) Simson a. a. 0. I, 143.
12 Abt Hilduin.
kirchliche Zucht und Ordnung und der ernst-asketische Zug, der von den JUnglingsjuhren an durch das ganze Leben des Mannes geht, auf eine frühe Schule von Erfahrungen und Prüfungen hindeuten.
Einen ausgezeichneten Lehrer fand er an Hilduin , der seit d. J. 814 als Abt die Brüder leitete. Dieser Mann verdiente es, dass der Zögling noch im Alter seiner als des „Erziehers" in dankbarer Liebe und mit gerechtem Stolze gedachte ^^); denn er gehörte in der That was (Jesinnung und Gelehrsamkeit, staatsmännische Befähigung und Thatkraft angeht, zu den Besten und Angesehensten des Landes ^^). So edle und fein gebildete Männer wie Servatus Lupus, der bewun- dernde Schüler der klassischen Meister des Altertums, und Walahfrid Strabo, der liederkundige Mönch von Reichenau , schauten mit Ver- ehrung zum Abte von St. Denis empor ^^). Später selbst schrift- stellerisch thätig genoss dieser die Freundschaft der ersten literarischen Grösse jener Zeit, des Fulder Abtes Hraban, der auf dem Gipfel seiner theologischen Berühmtheit stehend es nicht verschmähte, ihm seinen Kommentar zu den Büchern der Könige zu überreichen ^^). Kaiser Ludwig, in der Achtung und Wertschätzung geistig bedeutender Männer seinem erlauchten Vater nicht unähnlich, würdigte den Mönch seines ganz besondern Vertrauens, rief ihn an den Hof und erhob ihn zur Würde des Erzkapellans.
Dieses Ereignis, das die Klostergeschichte zum J. 822 zu ver- zeichnen hatte, bildet zugleich einen bedeutungsvollen Wendepunkt im Leben des jungen Hinkmar. Denn die Zuneigung, welche der Meister zu seinem empfänglichen Schüler hegte, die glänzenden An- lagen und die adelige Herkunft des bereits zum Jünglinge gereiften Knaben bewogen =*^) Hilduin, ihn sofort ^^) mit sich nach Aachen an das Hoflager zu nehmen, um seine weitere Erziehung selbst in der
17) Mansi XV, 645.
18) Transl. S. Sebastiani et S. Gregorii. (Bouquet, Recueil des historiens des Gaules. Paris 1738—65. VI, 320) nennt ihn „abbatem reverentissimum, viruni quoque omni probitatis genere permodestum omnique sagacitate et industria praeditum, iustitia conspicuum, sanctitate praeclarum."
19) Lup. ep. 95 u. 110 (Migne 109, col. 1127). Walahfrids Versus de imagine Tetrici (ed. Dümmler, Zeitschr. f. deutsches Altert. Bd. 12 S. 461 ff) und Dankgedicht an Hilduin (Migne 114, 1098). Letzterer war Gönner und Be- schützer des jungen Dichters, den er dem Kaiser empfahl. Vgl. Ebert , Allg. Gesch. d. Literatur d. Mittelalt. im Abendlande. Bd. 2. Leipzig 1880. S. 147.
20) S. Kunstmann, Hrabanus Maurus. Mainz 1841. S. 72,
21) Flod. 8, 1 p. 475.
22) Opp. U, 837. Ende 829 oder Anfang 830 verliess Hinkmar den Hof, vgl. unten.
Hof Ludwijr (1. h\ l-J
Hand zu behalten und ihm Gelegenheit zu geben, unter seiner Lei- tung h()ftsche Art und die Grundsätze karolingischer Staatskunst kennen zu lernen.
Ludwig d. F. hatte dem Hofe bis damals noch ziemlich den Glanz aus den ruhmreichen Tagen seines Vaters zu erhalten gewusst. Wenn er auch diesem bei weitem nicht an Herrschergenie und Festig- keit im Wollen und Handeln vergleichbar war, vielmehr das Gemüt und die Neigung zu Frömmigkeit und asketischem Leben bei ihm überwogen, so war doch eines als ungeschmälertes Erbe auf den Sohn übergegangen, die Liebe zur Wissenschaft und Literatur. Weniger scheint der geistlichen Richtung des Gemahles die Kaiserin Judith gehuldigt zu haben, die uns von Zeitgenossen als eine Frau von blen- dender Schönheit und reizender weiblicher Anmut, aber auch von hoher geistiger Begabung und selbst musikalischer Bildung geschildert wird^^). In dieser Weifin paarte sich zudem feurige Gemütsart mit fast männlicher Willensstärke, das Geschick den Kaiser zu beherrschen mit brennendem Ehrgeize: alles Fähigkeiten, die Fürst und Volk nicht zum Heile dienen sollten. Um das Herrscherpaar bewegte sich ein Kreis auserlesener Männer. Vor allen ragen drei hervor: Ein- hard, der ehrwürdige Alte aus dem Gefolge des grossen Karl, der sittenstrenge und gelehrtes Streben fördernde Helisachar, ein ver- trauter Freund und Geistesverwandter des h. Benedikt von luden, und der greise Adalhard , den vor kurzem die Gnade Ludwigs aus siebenjähriger Verbannung zurückberufen hatte, und dessen hehre Ge- talt gesehen zu haben, Hinkmar noch als Greis sich rühmt ^*). Auch die trefflichen Halbbrüder des Kaisers, Drogo und Hugo, waren nach langer Ungnade eben wieder in die Pfalz zurückgekehrt und erfreuten sich der Gunst ihres königlichen Herrn.
Obgleich diese Männer nicht den Trägern jener berühmten Na- men, die einst im Aachener Palaste glänzten, an die Seite zu stellen sind, so mussten doch Geist und Charaktergrösse sie zum Muster für den jungen, strebsamen Mönch von St. Denis machen. Freilich wie weit der persönliche Einfluss ging, den sie auf ihn ausübten, wissen wir nicht; aber was er von der Huld erzählt, die ihm der Herrscher >elbst bewies, lässt uns ahnen, dass er auch mit jenen Räten der Krone in sehr vertrautem Verkehre gestanden hat. .,Acht Jahre lang*^, berichtet Hinkmar, „vertraute Ludwig mir sein Innerstes un- bedenklich an" ^^), woran man ermessen kann, welches staunenswerte
23) Vgl. Simson a. a. 0. T. UH f.
24) Opp. II, 206.
25) Opp. II, 837.
14 Iliiikiu;ir.s Stollnni,'' am Hofe.
Maass von Achtung der Jiiiiglint^ dem ernsten Fürsten eingeflösst haben muss, und wie nahe verwandt sich die beiden Herzen mögen gefühlt ha])en.
Welches die Stellung war , die Hinkmar in der Rangordnung des Hofes einnahm , ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Dass er ein eigentliches Amt in der Pfalz bekleidet habe, lässt sich bei seiner Jugend kaum annehmen; er wird vielmehr zu der Klasse derjenigen gehört haben, welche in der Umgebung des Kaisers ihre politischen Lehrjahre bestanden und als „Schüler" bezeichnet wurden 2^). Ob er den Unterricht in der Hofschule genossen hat, der zu Ludwig d. F. Zeit noch manche hervorragende Männer ihre Bildung verdankten, und die noch keineswegs ganz verfallen war^'), wenn auch die frühere Blüte mehr und mehr schwand, mag dahin gestellt bleiben. So viel aber ist gewiss, dass er mit wissenschaftlichen Studien eifrig beschäftigt war. Damals hat er die karolinischen Bücher kennen gelernt und studirt^^), damals wohl auch die erste Grundlage für seine eingehende Kenntnis des geistlichen und weltlichen Rechtes gelegt, der karolin- gischen Gesetzgebung sowohl als der römischen Rechtsquellen, wozu ihm die Hofbibliothek reiche Schätze bieten konnte. Vorzüglich aber hat er der Erlernung des praktischen Dienstes, wie er von den Wür- denträgern des Staates und der Kirche gefordert ward, seine Zeit ge- widmet. Es liegt die Vermutung nahe, dass er zu diesem Zwecke gerade Hilduin beigesellt war, dessen Amtsgeschäfte sich besonders eigneten, um einen jungen Mann für den Eintritt in die hohe frän- kische Geistlichkeit heranzubilden. Denn der Erzkapellan war nicht allein das Haupt der zahlreichen Hofgeistlichkeit und persönlicher Ratgeber des Fürsten, sondern auch eine Art Minister der geistlichen Angelegenheiten, durch dessen Hand alle wichtigeren kirchlichen Dinge des weiten Reiches gingen ^^).
Neben der Aneignung der nötigen Geschäftsgewandtheit fand Hinkmar Gelegenheit, sich von altern Männern in das Verständnis der grossen kirchlichen und politischen Ereignisse aus der Regierungs- zeit Karl d. G. einführen zu lassen. So erzählt er selbst, wie er
26) Hincm. De ordine palatii c. 28 (opp. II, 211) : Alter ordo per singula ministeria diseipulis congruebat, qui magistro suo singuli adhaerentes et ho- norißcabant et honorificabantur, loeisque singulis suis prout opportunitas occur- rebat, ut a Domino videndo vel alloquendo consolarentur.
27) Vgl. Simson a. a. 0. II, 255 ff.
28) Opp. II, 457.
29) Opp. II, 206. sq. Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. Kiel 1860. III, 434 ff.
Politische Schulung. 15
Schildeningen der Frankfurter Synode gegen *Felix von Urgel aus dem Munde solcher vernommen, die persönlich daran teilgenommen hatten ^^). Eine genaue Kenntnis des von Karl d. U. geschaffenen Staatsorganismus gewährte ihm das Werk Adalhards über die Hof- ordnung, welches die Gliederung des hohen Beamtentums und den Geschäftsgang bei der obersten Verwaltung des Reiches darstellte. Er las und schrieb es zu seisem eigenen Gebrauche ab ^^).
Von weit grösserer Bedeutung aber war für den dereinstigen Berater des westfränkischen Königs der tägliche unmittelbare Einblick in das Getriebe der praktischen Politik, die gerade in den Jahren 820 bis 830 sich in der Aachener Pfalz sehr lehrreich, getragen von tiefen prinzipiellen Gegensätzen und reich an wichtigen Vorkomm- nissen entfaltete. Den damaligen Beratungen und Verhandlungen wohnte Hinkmar bei und lauschte den Erörterungen erfahrener Staats- männer, welche die traditionellen Grundsätze der Vorfahren aufrecht erhalten wollten^-). Die diplomatische Gewandtheit und der politische Scharfblick, den wir an dem nachmaligen Kirchenfürsten bewundern, mögen bei solchen Gelegenheiten geweckt und gefördert worden sein. Auch die kirchlichen und politischen Ideale , die er im spätem Leben verfolgte, stehen in innerem Zusammenhange mit den Bestre- bungen, die in jener Zeit zu Tage traten. Darum lohnt es sich, einen Blick zu werfen auf die Parteien und ihr Ringen, umsomehr als letzteres zu Katastrophen trieb , welche den Erzkapellan zum Sturze brachten und damit auch seinen Schützling aus dem wirren Treiben des Hofes in die stille Zelle von St. Denis zurückführten.
Nachdem es Karl d. G. gelungen war, die fränkischen Stämme unter einem Scepter zu einigen und durch die Gewalt seiner Waffen in Verbindung mit weiser Staatskunst die Grenzen des Gesamtreiches fast soweit auszudehnen, als christliche Sitte und katholischer Glaube unter den Völkern des Abendlandes herrschten , keimte in den Ge- mütern die Idee auf, dass die Einheit des Reiches von der Einheit der Kirche unzertrennlich sei. Das wieder aufgerichtete Kaisertum und ein glückliches Geschick, welches von den drei Söhnen Karls zwei vor der Zeit ins Grab steigen und den einen die Herrschaft als ungeteiltes Erbe antreten Hess, schien jenem Gedanken das Siegel der Bestätigung aufzudrücken und ihm Gültigkeit für alle Zukunft zu verleihen. „Wie man auf den Papst als das eine geistliche Ober-
30) Hincm. De praedest.. praef. (opp. f. init.)
31) Opp. II, 206.
32) Opp. II, 201.
16 Orossfränkischo Politik,
hiuij»t dv.v Knli' zu hlickcn pflegte, so wollte man für alle Zeit auch nur einen weltlichen Herrn an ihrer Spitze erblicken; er sollte die Kirche vor Spaltung und das Volk vor innern Zerwürfnissen bewahren, sollte auf der Hahn Karl d. G. zum Ruhme Gottes und zum Heile d»M* iMeuschlicit weiter schreiten." ^^) In der Familie Ludwig d. F. aber, dem drei kräftige Söhne lebten, schien die rauhe Wirklichkeit das j)olitische Ideal zerstören zu wollen. "Um diese Gefahr abzuwenden, bildete sich allmählich unter den Grossen eine mächtige Partei, welche sich die Erhaltung der Reichseinheit zum Ziele setzte und auf dem Wege verfassungsmässiger Festsetzungen den alten staatsrechtlichen Grundsatz der Teilung überwinden zu können hoffte ^^). An ihrer Spitze standen die eiuflussreichsten Männer des Hofes, den Kern aber machte die hohe Geistlichkeit aus und besonders jener Teil derselben, der eifrig für kirchliche Reformen arbeitete und namentlich die Zurück- erstattung des entfremdeten Kirchengutes anstrebte ^•'•). In Erwägung, dass eben durch Karls Einigungswerk auch die einzelnen fränkischen Kirchen unter einander und mit dem gemeinsamen Staatskörper in lebensvollen Zusammenhang getreten waren und aus demselben zumeist die Kraft zu reformatorischem Wirken gesogen hatten, glaubten jene grossfränkisch Gesinnten durch ein Zerreissen dieses Gefüges eine schwere Gefährdung der kirchlichen Interessen, eine Zurückdrängung auf eine frühere Entwicklungsstufe befürchten zu müssen ^^). Auch entging ihnen der Umstand nicht, dass durch eine Zersplitterung der Wehrkraft des Reiches die Sicherung der Grenzen sehr erschwert, wenn nicht zur Unmöglichkeit würde^^) ; und wieviel Wahrheit diesem
33) Wenck , Das fräiik. Reich nach d. Vortraofo von Verdun. Leipzig 1851. S. 15. Vgl. Waitz a. a. 0. TV, 564.
34) Vgl. hierüber u. in Bezug auf das Folgende Simson a. a. 0. S. 100 ff
35) Vgl. Waitz a. a. 0. S. 561 flp. Im J. 822 macht Erzb. Agobard von Lyon, einer der thätigsten Förderer der Einheitsbestrebungen, schon einen leisen, wenn auch erfolglosen Versuch, die allgemeine Restitution der Kirchengüter herbeizuführen. Vgl. Simson a. a. 0.
SQ) Divisio imperii (Mon. Germ. LL I, 198): Ne forte hac occasione (d. h. bei einer etwaigen Teilung des Reiches) scandalum in s. ecclesia oriretur et ofFensam illius, in cuius potestate om'nium iura regnorura consistunt, incurrere- mu8. Später macht die Versammlung von Compiegne geltend : Propter pacem et unanimitatem imperii ecclesiaeque tranquillitatem (LL 1, 367). Paschasius Radbertus, der eifrige Lobredner dieser Partei sagt: Voluit (Wala), ut unitas et dignitas totius imperii maneret ob defensionem patriae et ecclesiarum libe- rationem, ob integritatem reruui et dispensationem facultatum ecclesiarum (Vita Walae 2, 10. Mon. Germ. SS. II, 575).
37) Vita Walae 2, 7. 1. c. p. 551.
Reich.steilung'. 17
Gedanken innewohnte, haben die nnaufhörliclien Kinfälle der Nor- mannen nnd Sarazenen, die /.nrückzuweisen keiner der Könige allein im stände war, nur zu klar bewiesen.
Die Häupter der Partei waren rastlos thätig, ihren Plänen den Erfolg zu sichern. Auf dem Aachener Reichstage v. J. 817 wurde ein Hausgesetz erlassen über die Teilung des Reiches nach des Kaisers Tode. Der erstgeborene Lothar sollte Erbe der kaiserlichen Krone sein und ward sofort zum Mitkaiser erhoben und gekrönt, obschon er die Mitherrschaft thatsächlich erst i. J. 825 erhielt. Für Pipj)in wurden Aquitanien und Waskonien, die Mark Toulouse und einige Grafschaften in Burgund und Septimanien bestimmt, während Ludwig Baiern mit der Ostmark, Pannonien und Kärnten zugesprochen wurden. Damit erhielten die Jüngern Söhne nicht nur Reiche, die gegenüber dem Anteile des altern Bruders einen sehr massigen Umfang hatten und wegen ihrer Unsicherheit als Grenzgebiete es nicht leicht zu einer grössern Machtentfaltung kommen Hessen, sondern ihre Stellung wurde auch rechtlich beschränkt. Sie waren ünterkönige, deren Gewalt die Mitte hielt zwischen Souveränetät und Statthalterschaft und eine eigen- tümliche Mischung aus beiden darstellte : sie besassen die Gerichts- hoheit, und die Einkünfte ihres Gebietes flössen ihnen unmittelbar zu, dagegen sollten sie über Krieg und Frieden nicht ohne den Kaiser entscheiden und keine Gesandtschaften auswärtiger Fürsten selbständig empfangen können. Die wichtigste Bestimmung aber war, dass nach dem Tode eines der Jüngern Brüder dessen Land nicht wieder geteilt, sondern nur auf einen seiner Söhne vererbt werden durfte, und dass, wenn er ohne rechtmässige Nachkommen sterben sollte, sein Gebiet an den Kaiser zurückfallen musste^^). Vier Jahre später wurde dieses Gesetz auf den Tagen zu Nimwegen und Diedenhofen von den Grossen ■feierlich beschworen. Damit jedoch dem eben geschaffenen Werke von dem schwankenden Charakter des Kaisers keine Gefahr erwüchse, galt es, ihn mit Männern zu umgeben, die entschieden der Richtung jener Partei huldigten. Man verstand es bei Ludwig durchzusetzen, dass das Brüderpaar Adalhard und Bernar, die dem karolingischen Hause entstammten und in der politischen Schule Karl d. (j. gebildet waren, sowie die Halbbrüder des Kaisers, Drogo und Hugo, aus der
38) Divis, iraper. (LL I, 198 — 200). Auf diesem Reichstage wurde auch ■im engsten Zusammenhange mit dem Reformprogramme der Partei die Bene- diktinen-egel durch den h. Benedikt von Aniane (Inden) erläutert und eine 80 Kapitel umfassende Ergänzung (Capitula monachorum ; LL I, 200 — 204) hin- zugefügt, während dem Diakon Amalarius von Metz eine Revision der Regel für Kanoniker und Kanonissen übertragen ward (vgl. Simson I, 91 ff.).
Schrörs, Hinkmar von Reims. 2
18 Geburt Karl <l. K.
Verbannung zurückberufen wurden. Zu <<leiclier Zeit nahmen auch die kirchlichen Reformgedanken, besonders die auf geistige Heilung •1.'^ Klerus gericliteten bestinnutere Gestalt an.
Als ein Glied in der Kette, mit welcher man den Kaiser für immer an die grossfränkische Idee zu fesseln gedachte, und als im Zusammenhange stehend mit dem siegreichen Hervortreten der uni- taristischen und kirchlichen Bestrebungen ist auch die Berufung Hil- duins als Erzkapellans aufzufassen. Der Abt von St. Denis war zu einem der vornehmsten Träger der neuen Politik ausersehen. Wurde nun Hinkuiar gerade an jenem Zeitpunkte, wo die Einheitsmänner auf der Höhe ihrer Macht standen, in das Hof leben eingeführt, und trug sein väterlicher Gönner und Beschützer so ausgeprägt jene Rich- tung zur Schau, so ist es kaum mehr unwahrscheinlich, dass auch der Jüngling in jenem Geiste seine politische Erziehung erhielt^ ^j. Und wenn wir aus den Grundsätzen seines spätem Lebens einen Rück- schluss machen dürfen, so erhebt sich diese Vermutung fast zur Ge- wissheit. Denn nichts lag ihm bis zum Ende seines W^irkens so sehr am Herzen als die Läuterung und Kräftigung der Geistlichkeit, die Beförderung der Macht und Unabhängigkeit der Kirche; und nachdem der Zerfall der Monarchie Karl d. G. eine vollendete Thatsache ge- worden war, hielt er doch an der idealen Einheit der drei Reiche als des Gesamtimperiums der Christenheit fest und hob mit Nach- druck die glücklichen staatlichen Zustände jener Zeit hervor, in der ein Einziger in fränkischen Landen das Scepter führte.
Die Einheitspartei hatte in ihren Berechnungen einen Umstand ausser Acht gelassen, nämlich dass dem Kaiser aus der i. J. 819 ge- schlossenen zweiten Ehe mit Judith ein vierter männlicher Sprosse geschenkt werden könnte. Diese Möglichkeit wurde i. J. 823 durch die Geburt Karls, der nachmals den Beinamen des Kahlen erhielt, zur Wirklichkeit. Es war ein Familienereignis, das folgenschwer wie wenige in der Geschichte geworden ist. Denn die mütterliche Eitel- keit der Kaiserin war nun gereizt, und mit all' der Klugheit und Zähigkeit, welche der Frau eigen ist, entwarf und verfolgte sie ihre Absicht, die Abmachungen des J. 817 umzustossen, um dem Nach- geborenen einen möglichst grossen Teil vom väterlichen Reiche zu- zuwenden. Allerdings in den nächsten fünf Jahren hören wir noch nichts, was auf innere Kämpfe und veränderte Einflüsse am Hofe schliessen Hesse, sei es dass Judith den Augenblick noch nicht für
39) Auch Gfrörer a. a. 0. I, 187 ist der Ansicht, dass Hinkmar im Herzen der Einheitspartei zugethan war.
Politinche Uoiiktion. 10
gt^koiumeii erachtete, sei es dass die Gegner die Gefahr 7ai gering anschhigeii, um beizeiten Vorkehrnngen zu treffen. Seit dem J. 828 aber folgten die Schläge der Keaktion rasch aufeinander. Der bisher vielvernu'igende (iraf Matfrid und Hugo, der Schwiegervater des jungen Mitkaisers , wurden gestürzt und ihrer Lehen für verlustig erklärt,' angebHch zwar zur Strafe für ihre Nachlässigkeit in der Verteidigung der spanischen Mark, in der That aber wohl aus tiefer liegenden politischen Gründen. Auf dem Wormser Reichstage (829) ward dann dem erst sechsjährigen Karl Alemannien, Elsass, Kurrätien und ein Teil von Burgund übertragen. Diese doppelte Kränkung für den erstgeborenen Lothar war zu tief, als dass sie ihn nicht zum offenen Bruche mit dem Vater hätte treiben müssen, infolge dessen er der Mitregentschaft beraubt und nach Italien verwiesen wurde. Grollend verfolgten Adel und Geistlichkeit diese Vorgänge. Ersterer, weil der Graf Bernhard von Barcelona, ein eifriger Parteigänger Judiths, der eine Kühnheit und Thatkraft besass, die bis zur Gewaltsamkeit ging — Hinkmar bezeichnete ihn kurz als „Tyrannen" '^^) — die Männer der alten Partei zurückzudrängen wusste und dafür die Brüder der Kaiserin, die Weifen Konrad und Rudolf, zur Macht erhob; die Bi- schöfe, weil sie bei Ludwig mit ihren allzu berechtigten Klagen über die traurige Lage der Kirche*^) ein taubes Ohr fanden.
Unter solchen Umständen reiften die Dinge schneller, als der Herrscher es ahnen mochte, zum Bürgerkriege. Schon in den Fasten 830 zog Pippin mit Heeresmacht und umgeben von den aufrühre- rischen Grossen, die sich ihm namentlich aus Westfranken angeschlossen hatten und unter denen sich auch der Erzkapellan Hilduin befand, gegen den Vater heran. Dass der junge Hinkmar hierin dem Bei- spiele des Meisters folgte — die Quellen schweigen über seine da- malige Stellung — ist nicht anzunehmen, da er b.'ild darauf, wie wir -eben werden, noch in hoher Gunst bei Ludwig steht und viele Jahre nachher noch jene Empörungen mit den schärfsten Worten tadelt**). Trotz seiner innern Uebereinstimmung mit dem politischen Standpunkte seines Abtes dürfte ihn seine legitimistische Gesinnung, von der er später mehr als einmal glänzende Proben abgelegt hat, sein feines „ Gefühl für Recht sowie sein vertrautes Verhältnis zur Person des R Fürsten von einem solchen Schritte zurückgehalten haben. Und B dass in der That die Bahn, welche die Königssöhne und ihre An-
40) Annal. a. 864 (Mon. Germ. SS. I, 466).
41) Das Pariser Koncil v. J. 829 entwirft ein abschreckendes Bild von len damaligen kirchlichen und sittlichen Zuständen (Mansi XIV, 529 sqq.).
42) Opp. II, 128.
2*
l!i> Hilduins Verbannung.
hän^er betreten batteii, eine verderbliche war, liaben nachmals die zwar unblutigen aber schmachvollen Vorgänge auf dem Lügenfelde und der noch schmachvollere Tag von Compiegne, wo der unglück- liche Kaiser entthront und aufs tiefste gedemütigt wurde , gezeigt. Für jetzt gelang es diesem noch einmal, mit Unterstützung der ihm grösstenteils treu ergebenen deutschen Aristokratie bald die Ober- hand zu gewinnen. Und hiermit treten auch die Geschicke Hink- innrs wieder deutlicher in den Berichten hervor.
Hilduin war im Oktober 830 auf der Reichsversammlung zu Nimwegen dem Verbote seines kaiserlichen Herrn entgegen trutzig mit bewaffneter Begleitung erschienen. Zur Strafe dafür traf ihn das Los sofortiger Verbannung: in einem Soldatenzelte sollte er bei Paderborn den Winter zubringen*^). Schon bald aber scheint dieses harte Urteil dahin gemildert worden zu sein, dass ihm gestattet wurde, in der sächsischen Abtei Korvei seinen Aufenthalt zu nehmen'^'*). Hinkmar, der damals wieder im Kloster bei Paris weilte, entschloss sich in treuer Anhänglichkeit freiwillig das Geschick mit seinem ver- ehrten Lehrer zu teilen, und folgte unter Zustimmung seines Bischofs und begleitet von den Segenswünschen der Brüderschaft ihm ins
4-i) Astronom., Vita Hludow. c. 45 (Mon. Germ. SS. II, 683). Simson a. a. 0. I, 360 vermutet, der Kaiser habe so bestimmt, „um die kriegerischen Gelüste des Abtes zu verhöhnen."
44) Flod. 8, 1 p. 475. Transl. S. Viti (Jaffe', Biblioth. rer. Germ. Berol. 18G4. I, 18). Mabillon Annal. 1. 30 n. 45 (IT, 531 sq.) glaubt diese Nachrichten mit der Notiz des Astronomen vereinigen und von einem Verbannungsorte verstehen zu können, da Korvei in der Diözese Paderborn gelegen habe. Dem steht aber Transl. S. Pusinnae (Wilmans, Kaiserurkunden d. Prov. Westfalen. Münster 1867. I, 543) entgegen: (Hilduinus) in Saxonicam regionem exilio eondemnatus est: et primo quidem ad Patebrunnam aliquamdiu commoratus est: postea defervescente furore principis ad Corbeiam Novam positus est. Dümmler (Gesch. d. ostfränk. Reichs. Berlin 1862. I, 62 f.) und Simson (1,360. II, 3) verstehen auch die Quellen von einem doppelten Verbannungsorte, nehmen aber an, Hilduin sei nach Korvei erst nach dem Aachener Reichstage (Licht- mess 881) gekommen, was mir unwahrscheinlich zu sein scheint. Denn abge- sehen davon, dass Ludwig wohl nicht so grausam war, den früheren Erzkapellan 8 bis 4 Wintermonate im rauhen Sachsenlande auf freiem Felde zubringen zu ias-sen, sagt Transl. S. Pusinnae von dem Aufenthalte bei Paderborn „aliquamdiu" und scheint den in Korvei als länger dauernd hinzustellen, womit auch Flod. 1. c. und Transl. S. Viti, die den ersteren als einen kurzen ganz übergehen, übereinstimmen ; nun aber halten auch Dümmler (I, 68) und Simson (II, 9) fest, dass Hilduin anfangs Mai 831 zu Ingelheim wieder vollständig begnadigt wor- den ist, wonach also seine Verbannung in Korvei kürzer als die andere ge- wesen wäre.
HiMuins Ho^nadi^unj?. 21
Exil*'^). Niclit lange jedocli kann der Aufenthalt beider in Neu- Korvei gedauert haben; denn vom 2(). August 832 besitzen wir eiae Urkunde, in der Hilduin bereits wieder als Abt von St. Denis er- scheinf**^). Er hatte seine Begnadigung den inständigen lütten und der Gunst zu danken, in welcher sein Zögling beim Kaiser stand^ und so vollständig war die Verzeihung, davss er. zwei seiner Abteien, die er sämtlich verloren hatte, wieder erhielt*'), darunter auch St. Denis. Wahrscheinlich geschah dies auf dem Ingelheimer Reichstage (Mai 8;U), als Ludwig viele wegen des Aufruhrs Verurteilte wieder zu Gnaden annahm"^®). Der junge Mönch kehrte nun mit dem Abte, der seine politische Rolle ausgespielt hatte, in die friedlichen Mauern des Klosters zurück, aber nicht um unthätig ein Leben blosser Be- schauung zu führen, sondern, um mit ihm an die Ausführung eines Werkes zu gehen, das sie schon lange geplant und vorbereitet hatten, an die Reform des ehrwürdigen Stiftes. Wenigstens berichtet Flo- doard, Hinkmar habe bereits am Hofe mit dem Kaiser und seinem Abte und unter der Auktorität der Bischöfe an der Wiederherstellung der klösterlichen Disziplin in St. Denis gearbeitet, und um seinen Worten das Beispiel hinzuzufügen, sich schon selbst mit einigen an- dern freiwillig der Ordensregel unterworfen*^). Es war dies das nächste praktische Ziel, das er sich während seiner höfischen Lehr- jahre gesteckt hatte, und zugleich ein Zeugnis von seinem idealen und doch thatkräftigen Sinne.
Einen kurzen Ueberblick über den Verlauf und das endliche Gelingen jener Versuche, den alten Geist in der Klostergemeinde wieder herzustellen, gibt eine das l^eformwerk abschliessende Urkunde Kaiser Ludwigs vom 26. August S32^^). Bis etwa 814 war die
45) Flod, 8, 1 p. 475. — Dass Hinkmar schon bevor Hilduin sich der ottenen Empörung anschloss, nach St. Denis zurückgekehrt war, also Ende 829 oder Anfang 830, geht aus Flod. 1. c. hervor: ipse religiosae conversationi cum
aliis se aubdidit Processu vero temporis, quuin .... Hilduinus
. . . otfensam ipsius Augusti . . . incurrisset etc.
46) Sickel, Regesten der Urkunden der ersten Karolinger. Wien 1867. L. n. 303.
47) Flod. 1. c. Wenn Transl. S. Viti (1. c.) berichtet: „Honori pristino restitutus est" und Transl. S. Pus. (1. c): ,,Revocatus in pristinam dignitatem", so ist dies ungenau; denn die Würde des Erzkapellans erhielt er nicht wieder, vgl. Simson II, 9. 233.
48) Annal. Bertin. a. 831 (SS. I, 424). Astron., Vita Hlud. c. 4(5 (S8. II. 634). Vgl. Dümmler I, 68 und Simson II, 9.
49) Flod. 1. c.
50) Sickel 1. c. Baluze, Capitularia regum Francorum. l'.iii^ l<i77. I, 675 sqq. Felibien 1. c. Preuves n. 74.
-_1 Reform von St. Denis.
Regel noch leidlich beobachtet worden, von diesem Zeitpunkte an iiWr allniiihlich so in Verfall »geraten, dass nur einige Wenige noch all der klösterlichen Ordnung festhielten. Da die Anstrengungen, wclclie die kaiserliehen Klostervisitatoren Benedikt von luden und Arnulf von Heruioutier i. J. 818 machten, um dem traurigen Zu- stande ein Ende zu bereiten, vollständig fehlgeschlagen waren, nahm die Pariser Nationalsynode v. J. 829 die Sache in die Hand. Es wurde hier die dringende Notwendigkeit einer Verbesserung der Zucht in 8t. Denis anerkannt und dahin zielende Vorschläge an den Kaiser gerichtet, die von Hilduin eifrig unterstützt wurden. Zur Durch- führung der Reform sammelten sich auf Ludwigs Befehl 829 oder 830''^) die Bischöfe der Kirchenprovinzen Sens und Reims mit ihren Metropoliten, und eine eingehende Untersuchung der Sachlage ergab, dass die Wenigen, welche noch in etwas ihren Gelübden treu ge- blieben waren, sogar aus der Abtei hatten weichen müssen. Die meisten versprachen jetzt Besserung und bekleideten sich zum Zeichen dessen öffentlich vor der Versammlung wieder mit der Cuculla^^). Eine kurze Zeit blieb der junge Eifer rege, jedoch bald bildete sich wiederum eine Partei von Aufsässigen, die gegen den W^illen des Abtes Gesandte mit einer Beschwerdeschrift an den Kaiser schickten. Ludwig beauftragte deshalb Hilduin, ein neues Koncil in St. Denis zu veranstalten, um den letzten Widerstand zu brechen. Die vorge- brachten Beschuldig-ungen der Mönche erwiesen sich als unwahr, und jeder musste die Regel des h. Benedikt von neuem unterschreiben^^). Wie die erwähnte Urkunde Ludwigs beweist, konnte die Reform im Herbste 832 als abgeschlossen und befestigt angesehen werden. Ihr thätigster Beförderer war neben den Erzbischöfen Aldrich von Sens und Ebo von Reims der Abt Hilduin gewesen ^'^). Dass ihm dabei Hiukmar helfend zur Seite gestanden, lässt sich nach den obigen
51) Mansi XIV, 631 und Hefele IV, 77 nehmen d. .T. 829 an.
52) Dieser Synode gehört auch wohl das Urkundenfragment an bei Mansi XIV, 633, welches dieser in das Jahr 832 setzt und auf die in jenem Jahre .stattgefundene Synode bezieht. Es gibt ebenfalls eine Uebersicht über die Reform versuche und stimmt zum Teil wörtlich überein mit der Urkunde Lud- wigs V. J. 832; es ist ohne Zweifel das Aktenstück, von welchem in dieser die Rede ist, und deshalb dem Jahr 829 resp. 830 zuzuweisen.
53) Diese Versammlung fand vielleicht in der zweiten Hälfte Januar 832 statt, da die vom 22. Januar dieses Jahres datierte Urkunde über die Verwen- dung der Einkünfte aus den Klostergütern (Mansi XIV, 636 sqq. Felibien, 1. c. Preuv. n. 72) vernmtlich auf derselben bestätigt wurde.
54) S. das Urkundenfragment bei Mansi XIV, 633 sqq.
Hinkmar in St. Denis. 23
Worten Flodoards erwarten; wie weit er aber im einzelnen einge- griffen hat, sagen die hier dürftig fliessenden Nachrichten nicht. .
In der geweihten Stille des nnn zu neuem Leben erblühenden Klosters lebte Hinkmar jetzt längere Zeit, „der Welt entfliehend und ohne Hoffnung oder Verlangen nach einer Ehrenstellung" •^•''). Doch bheb er den Dingen, die sich im Reiche bei dem immer tiefer grei- fenden Zwies]Kilte zwischen dem Kaiser und der Partei seines ältesten Sohnes gefahrdrohend entwickelten, nicht ganz entrückt, schon darum nicht, weil der Abt seine politischen Ideale nicht ganz verleugnen konnte. Als Lothar i. J. 833 mit seinen Brüdern und unterstützt von den alten Gegnern der Kaiserin abermals die Fahne der Em- pörung wider den Vater erhob, und der Tag „der Schmach der E'ranken'*^'*) auf dem Lügenfelde erschien, neigte Hilduin dem wieder aufgehenden Sterne zu und suchte sogar Hinkmar zum Abfalle zu bewegen. Allein vergebens^'); dieser wankte selbst dann nicht, als Ludwig vom Throne gestossen und aufs tiefste erniedrigt als Gefan- gener seines eichenen Sohnes in den Mauern von St. Denis weilte. Ebendaselbst wurde Hinkmar aber auch wenige Monate später die Genugthuung zu teil, der Wiedereinsetzung des Kaisers beizuwohnen^*). An diesem Zeitpunkte muss es auch gewesen sein, dass Ludwig den alten Liebling, der seine Ergebenheit so glänzend erprobt hatte, in seine unmittelbare Nähe zog^^); denn wir finden ihn im folgenden Februar (835) schon an seiner Seite auf dem wichtigen Reichstage
55) Opp. II, 304.
56) Annal. Alara. a. 83:^ (SS. I, 49).
57) Flod. 3, 1 p. 475. Da von einer Parteinahme Hilduins gegen den Kaiser sonst nichts berichtet wird — und seine hervorragende Persönlichkeit hätte hiebei doch in den Vordergrund treten müssen, — derselbe vielmehr so- gleich, nachdem Ludwig wieder die Oberhand gewonnen, so sehr in dessen Grünst steht, dass dieser ihm den ehrenvollen Auftrag gibt, die Geschichte des h. Dionysius (Migne 106, 13 — 50) zu schreiben, dessen er sich in Jahresfrist entledigt (vgl. die Briefe bei Bouquet VI, 347): so scheint, dass es Hinkmar gelungen ist, den Abt von einem förmlichen Abfalle zurückzuhalten. So auch V. Noorden S. 6 und Simson II, 51 f. Mabillon dagegen 1. 31 n. 4 (II, 556) bestreitet überhaupt die Richtigkeit der Notiz Flodoards.
58) Nithard, Histor. 1, 4 (SS. II, 653).
5'i) Opp. II, 304: Conversis autem ad regulärem vitam . . . fratribus in monasterio S. Dionysii . . . diutius degui et exinde adsumptus familiaribus obse- quiis praefati imperatoris (sc. Hludow.) ac episcoporum conventibus pro sola obedientia mihi iniuncta inserviens, post aliquot annos monasterii quietem repetii. v. Noorden S. 6 irrt daher, wenn er Hinkmar v. J. 830 bis zu Ludwigs Tode mit d«n Studien beschäftigt in St. Denis leben lässt.
- I lliiikiiiiir im Dienste riii(lwi<r d. F.
und KoiH'ile zu DiedtMihofen*^'^), wo des Kaisers Hoheit wieder allge- mein unerkannt und der an ihm begangene Frevel gesühnt wurde.
In die Zeit, «la llinkmar in kaiserlichen Diensten stand und namentlich auf den Versammlungen der Bischöfe thätig war, fallen wichtige Synoden, von denen insbesondere die zu Aachen i. J. 8-3() stattgefundene zu erwähnen ist^^). Die kirchlichen Reformpläne, welche die grossfriinkisclie Partei des Klerus einst so lebhaft ver- fochten hatte, die dann aber unter dem Drange stürmischer Ereignisse in den Hintergrund getreten waren, wurden hier von neuem in Ati- griiF genommen. Es kamen ausführliche Beschlüsse zu stände, wie die Verhältnisse der Kirche und der Geistlichkeit von den niedersten Stufen bis zu den höchsten gebessert werden sollten. Aber auch den weltlichen Beamten bis zur Person des Fürsten hinauf wurde ein Spiegel ihrer Pflichten vorgehalten. Daneben vergassen die Bischöfe nicht, die schwierige Frage nach der Zurückerstattung der entzogenen Kirchengüter anzuregen, indem sie das Recht der Kirche auf unver- letzlichen Besitz ^gegründeten und die Herausgabe des unrechtmässig Entfremdeten verlangten. Durch die ganzen Verhandlungen zieht sich der Grrundgedanke hindurch, dass die Kirche mit dem christ- lichen Staate, das Priestertum mit der königlichen Gewalt in voll- kom.nener Eintracht wirken muss , wenn beide ihre grossen Auf- gaben erfüllen wollen. Wenngleich sich nicht erkennen lässt, ob Hinkmar ein Anteil an dem Verdienste zukommt, diese Reformbe- strebungen wieder geweckt zu haben, so wird er, der Eiferer für geistliche Zucht und kirchliche Rechte , den Anstrengungen doch nichts weniger als teilnahmslos gegenüber gestanden haben. Ist er es ja gerade gewesen, der dieselben nachmals in Westfranken weiter geführt und grösstenteils zum siegreichen Durchbruche geleitet hat.
Auch der Aachener Reichstag des folgenden Jahres steht zur Geschichte Hinkmars in näherer Beziehung. Karl d. K. erhielt durch denselben die Kernlande seines späteren Reiches, die reichen und frucht- baren Gefilde vom Niederrhein bis zur Seine, deren Hauptmasse die Kirchenprovinz Reims bildete. Und noch in dem nämlichen Jahre leistete der Abt von St. Denis dem jungen Herrscher ohne Wider- streben den Huldigungseid<^2j, worin wir wohl zum teil den Einfluss des früheren Zöglings erblicken dürfen
Nach einigen Jahren ^8) vertauschte Hinkmar seine Stellung im
60) Opp. I, 57U. Mon. (ierm. LL. T, 514.
61) S. Hefele IV, 88 ff.
62) Nithard, Histor. 1, 6 (SÖ. II, 654j.
63) S. N. 50.
I
M.'niitin^r an dm Hol" Kiirl d. K. ^')
Gefolge des Kaisers abermals mit der Ruhe der Klosterzelle und weilte als Kirchenschatzmeister wieder in St. Denis^*). Hier musste er noch einmal den Schmerz erleben, nach dem Tode Ludwig d. F. (840) den greisen Hilduin die Sache des jungen Karl verlassen und zu der Lo- thars, dem die ehemaligen Häupter der Einheitspartei ihre Anhäng- lichkeit ungeschwächt bewahrt hatten, abfallen zu sehen*^^). Kurz darauf aber sank sein Erzieher und väterlicher Freund ins Grab***^). Durch die Wahl des Nachfolgers, die auf Ludwig, einen Oheim*^^) und ergebenen Diener Karl d. K. fiel, war Hinkmar der Sorge über- hoben, dass das mächtige Stift jemals wieder dem neuen Könige ab- wendig gemacht werden könnte.
Bei den nahen Beziehungen , in welche St. Denis jetzt durch die Person seines Abtes zu Karl d. K. trat, konnte es nicht fehlen, dass die Augen des letzteren bald auf den begabten und geschäfts- gewandten Mönch gelenkt wurden, den er von den letzten Regierungs- jahren seines Vaters her kennen mochte. Und da der junge Fürst für den Anfang seiner äusserst schwierigen Regierung vor allem Männer gebrauchte, welche mit jugendlicher Kraft eine erprobte Tüchtigkeit und Treue verbanden, und deren Vergangenheit nicht den Stempel einer politischen Parteirichtung trug, so war es eine ixlückliche Wahl, als er Hinkmar zu einer Vertrauensstellung ])erief^^). Was er in dieser alles gewirkt, ist uns nicht überliefert — wir finden ihn nur auf dem Koncile von Verneuil im Dezember 844 einmal als anwesend erwähnt*^ ^) — ; aber dass es wichtige diplomatische Sen-
64) Flod. 8, 1 p. 475. — Cu.stos sacrorum pignerum ecclesiaeque = thesau- rarius, der neben den Gefässen und Paramenten hauptsächlich die Reliquien (sanctorum pignera, vgl. Flod. 3, 5 p. 479) zu hüten hatte. Man vgi. Flod. 1, 20 p. 443: Bernardus sacrorum custos bewahrt die Reliquien des h. Remi- gius; Mabill. Annal. 1. 24 n. 10 (II, 255): Beniaminus thesaurarius von St. Denis; ib. 1. 32 n. 24 (II, 617): Eliseus custos ecclesiae; Bouquet VIII, 407: Deodatus inonachuH et archicustos ecclesiae S. Dionysii. Darum hiess auch der Erz- kapellan custos (vgl. Waitz III, 433 N. 1) oder custos palatii (Hincm. De ord. palat. cc. 16. 32; opp. II, 207. 213), weil er ursprünglich und zunächst die Kirchenschätze der Hofkapelle bewahren musste.
65) Nithard, Histor. 2, 3 (SS. II, 656).
66) 22. Nov. 840, s. Mabillon, Annal. 1. 32. n. 22 (II, 61oj.
67) Er war ein natürlicher Sohn der Rotrudis, Tochter Karl d. G. (Hincm. Annal. a. 867, SS. I, 474), und des Grafen Roriko von Maine; er wunl«' l'retonotar Karl d. K., vgl. Dümraler I, 404.
68) Flod. 1. c. u. 3, 18 p. 509. Wenn Hinkmar i. J. 876 (opp. 11, 837) • leni Könige vorhält, dass derselbe 36 Jahre hindurch von ihm keinen beson- deren Treueid gefordert habe, so lässt sich vielleicht daraus schliessen, dass er schon i. J. 840 in dessen Dienste trat.
69) Mon. Germ. LL. I, 383.
26 KriiiiurliclH» OunHterweiHnnfjen.
düngen waren, zu (leiieii er verwendet wurde, berichtet er selbst: „Nach dem Tode des Herrn Kaisers Ludwig habe ich im Dienste jener, welche für die Eintracht unter den Königssöhnen damals thätig waren, nach dem Masse meiner Kraft durch häufige Reisen, durch Wort und Schrift gearbeitet"''^). Desgleichen entfaltete er auch auf kirchlichem Gebiete seine Thätigkeit. In königlichem und bischöf- lichem Auftrage und auf Befehl seines Abtes übernahm er die Leitung der Abteien St. Marie bei Compiegne und St. Germer du Flay (S. Geremari, Flaviacum) in der Nähe von Beauvais; die letztere richtete er aus tiefem Verfalle wieder empor' ^).
Solche Verdienste fanden ihren Lohn. Der König schenkte ihm am 12. August 844 Güter im Pincerais'^), einem östlich von Chartres gelegenen Gaue, von denen er nach seiner Erhebung zum Erzbischofe den „mansus Adalingus" dem Kloster St. Denis zur Unter- stützung der kranken Brüder schenkte'^). Ausserdem übertrug ihm Karl d. K. das Stift St. Germer auf Lebenszeit, das er ihm aller- dings zwischen den Jahren 845 und 849 wieder zu entziehen ver- suchte'*), aber wie es scheint ohne Erfolg. Die höchste Anerkennung jedoch, die seinem Charakter und seinem Wirken gezollt wurde, ward ihm i. J. 845 zu teil, als die vereinigten Wünsche der Kirche und des Herrschers den kaum Vierzigjährigen auf den angesehensten Metro- politansitz des Reiches, auf den Stuhl von Reims führten. Bevor wir indes diese entscheidende Wendung in Hinkmars Leben darstellen, ist es unerlässlich, der jüngsten Vergangenheit des Sprengeis zu gedenken und die Ereignisse ins Auge zu fassen, die seine Verwaisung herbeigeführt hatten, weil die folgenden 20 Jahre der westfränkischen Kirchen- geschichte noch von dem Wellenschlage jener Vorgänge berührt werden.
70) Opp. II, 201.
71) Flod. 3, 1 p. 475 u. 3, 18 p. 509. An ersterer Stelle ist statt „Ger- mani" mit Bouquet VII, 202 und Gallia christ. IX, 39 „ Geremari " zu lesen. V. Noorden S. 9 f. verlegt unrichtig St. Germer nach Compiegne und hält Flavi- acum für verschieden von demselben. Ebenso irrig lässt Haure'au (Nouvelle Biographie generale. Paris 1858. Bd. 24 p. 706) ihm St. Germain und St. Germer übertragen sein. Wenn derselbe ferner die Richtigkeit dieser Nach- richten Flodoards aus dem Grunde bezweifelt, weil Hinkmar, als er Erzbischof wurde, einfacher Mönch von St. Denis war, so ist dagegen zu bemerken, dass Flod. ihn nicht zum Abte jener Klöster macht, sondern nur sagt : regimen suscepit.
72) Flod. 3, 1 p. 475. Die Urkunde bei Bouquet YIII, 467, vgl. Ma,billon 1. 33 n. 15 (II, 0.54).
73) Urkunde Karl d. K. für St. Denis vom 19. Sept. 862 (Bouquet VIII, 579 C). Flod. 1. c. u. v. Noorden S. 10 sagen deshalb ungenau, dass er alle seine Güter im Pincerais zu jenem Zwecke geschenkt habe.
74) Flod. 3, 18 p. 509^
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2. Kapitel.
Krzbiscliof Ebo von Reims. HiiikmarH Wahl und Weihe. Sein AVirken während der ersten Jahre seiner Amtsführung.
Im nördlichen Teile der Champagne erhebt sich aus einer nackten, einförmif^en Ebene an dem Flüsschen Vesle die Stadt Keims, das alte „Durocortorum Remorum." Als ehemalige Hauptstadt der römischen Provinz „Belgica secunda" und eine der ersten Pflanzstätten des Christentums war sie der hervorragendste Bischofssitz im nördlichen Gallien geworden. Den besondern Glanz aber, in welchem die Reimser Kirche für die Nachwelt erstrahlte, verdankte sie dem h. Bischof Remigius, durch dessen Hand i. J. 496 der Frankenkönig Chlodovech die Taufe empfing. Tm Laufe der Zeit stieg die Stadt zu hoher kirchlicher Bedeutung empor ^), so dass sie zur Metropole einer Kirchenprovinz wurde, welche sich von Burgund bis zur Nord- küste Frankreichs, von der Maas bis beinahe zur Seine ausdehnte. Im 9. Jahrhundert waren ihr 9 Suffraganbistümer untergeben : Chalons- siir-Marne, Senlis, Soissons, Laon, Beauvais, Noyon, Amiens, das nach dem Vertrage von Verdun zum Reiche Lothars gehörige Cambrai, und Terouanne (Morini)^).
Erzbischof von Reims war i. J. 810 Ebo geworden'), ein Kind -ermanischer Eltern unfreien Standes. Den begabten •^) Knaben hatte die Gnade Karl d. G. und seines Sohnes aus dem Staube gehoben und am Hofe vortrefflich heranbilden lassen. Als Bibliothekar des jungen Ludwig stand er diesem bei der Regierung Aquitaniens zur Seite und verdankte dessen Freundschaft die Erhebung auf den Stuhl
1) Die ältere Kirchengeschichte von Reims ist ausführlich dargestellt von Marlot, Histoire de la ville, cite et universite de Reims, tom. I und II. Dieses Werk ist die ursprüngliche Arbeit Marlot's, wurde aber erst i. J. 843 durch die Reimser Akademie in 5 Quartbänden herausgegeben. Die ^Metropolis Uemensis historia" Marlot's (2 voll. fol. 1666 — 1679) ist nur eine abgekürzte l»»prsetzung desselben. Vgl. Histoire tom. 1, Preface, p. III suiv.
2) V. Noorden S. 18 zählt ebenfalls 9 Suffraganbistümer auf, lässt aber Soi.ssons aus und erwähnt dafür „Boulonnais (Morini)." Morini ist dasselbe wie Terouanne, mit dem Boulogne-sur-mer (Boulonnais bezeichnet den Gau) «Uimals vereinigt war. Erst im 16. Jahrhundert wurde es wieder abgetrennt. V'gl. Valesius, Notitia Ualliar. Paris 1675. p. 238 sq.
3) Die Quellenbelege für die folgende Darstellung bis zu Ebos offenem Abfalle finden sich gesammelt bei Simson I, 207 — 211.
4) Carol. ep. ad Nicol. (Mansi XV, 797): vehementis ingenii — servitio trenuus ingenioque agilis — palatinis negotiis non mediocriter annutritus.
28 Kr/l.iscliof Eho.
des h. Keini^iii-. lil»" \\;ii- von mehr als gewöhnlichem Eifer beseelt, da er nicht inn <l«'i' luuitiiinjjj seiner Kirche mit musterhafter Sorge oblag, scmdcni aiu li mit /iistiniimiiig des Kaisers und des Papstes Psischalis Missionsreisen nach dimi Norden unternahm. Mit grossem Erfolge war er i. J. 828 und später in Dänemark thätig, wodurch er dem h. Anskar die Wege bereitete.
Mit dem Herrscher durch persönliche Bande eng verknüpft hielt sich der Erzbischof von der hierarchisch -aristokratischen (3ppo- sition fem, und als i. J. 830 der Aufruhr zum erstenraale ausbrach, wankte seine Treue nicht ■'^). Aber im Verlauf der nächsten 3 Jahre trat eine überraschende Wendung ein, deren Gründe sich nicht ganz aufklären lassen*^). Bei Kolniar finden wir ihn im Lager der rebel- lischen Söhne '^), von dort zog er mit nach Compiegne und war bei der schmählichen Tragödie in der Marienkirche zu Soissons gerade derjenige, der an erster Stelle den gesalbten Kaiser zu seiner Selbst- erniedrigung zwangt). Als Lohn hiefür ward ihm von Lothar die reiche Abtei St. Vaast^).
Nachdem Ebo sich dem neuen Machthaber angeschlossen hatte, kümmerte er sich wenig mehr um die Verwaltung seines kirchlichen Amtes, sondern weilte zur grössten Unzufriedenheit der Reimser Geist- lichkeit^^) fast ständig in der Umgebung Lothars, ganz in politische Geschäfte versenkt. So tief wurzelte die Feindschaft gegen den frühern Wohlthäter in ihm, dass er auch dann noch im Trotze ver- harrte, als Ludwig in der Stiftskirche von St. Denis wieder als Herrscher anerkannt wurde, und viele der Abgefallenen sich wieder um denselben sammelten. Da er jedoch an Fussgicht erkrankt dem , nach Burgund sich zurückziehenden Lothar nicht folgen konnte, Hess ■ er sich in die Nähe von Paris bringen, um dort in der Zelle eines Einsiedlers den Ausgang der Dinge abzuwartend^). Als er hier ent
5) Carol. ep. ad Nicol. 1. c.
6) S. weiter unten.
7) Narratio clericorum Remensium (Bouquet VII, 277).
8) Annal. Bertin. a. 833 (SS. I, 427). Carol. ep. ad Nicol. 1. c. Narr. cleric. Rem. l. c. Hincm. opp. II, 272. Exauctoratio in Hludow. (LL. I, 367). Cartula Agobardi (ib. 369). Ep. Conc. Tricass. (Mansi XV, 792): Ebone, ut dicebatur, in hoc praecipue satagente. Flod. 2, 20 p. 471. 472 : Falsarum obiectionnm incentor — velut signifer. — üeber das Verhältnis des Berichtes Flodoards zum Briefe des Koncils von Troyes s. unt. Kap. 14 N. 72.
9) Opp. II, 272. Flod. 1. c.
10) Visio Raduini ap. Flod. 2, 19 p. 471.
11) So Narr. der. Rem., die an sich zwar wenig Glaubwürdigkeit ver- dient, hier aber durch das Synodalschreiben von Troyes und den Brief Karl
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KI)OM Al).s(?t/nn<i^. 2i>
(leckt wurde, und das (Terdcht ^iii^, er wolle wieder offen die Fahne des aufrührerischen Kcmigssolines ergreifen, Hess Ludwig ihn gefangen nehmen und nach Fulda in Haft brincjen'^).
Auf der grossen Keichsversannnlung, welche Ludwig Maria Lichtmess nach Diedenhofen berufen hatte, um öffentlich und feier- lich und mit dem ganzen kaiserlichen Prunke umgeben auf dem wiedergewonnenen Throne Platz zu nehmen, musste auch der ge- fangene Erzbischof erscheinen. Mit den Bischöfen, die zu Soissons gewesen, gab auch er die Erklärung ab, dass die dort gegen den Kaiser erhobenen Anklagen ungerecht und seine Absetzung ungültig gewesen sei. Im Stefansdome zu Metz, wohin sich die Bischöfe be- geben hatten und dem Herrscher im Angesichte des Volkes von neuem die Krone aufs Haupt setzten, wiederholte er seinen Widerruf von der Kanzel herab. Die Synode von Troyes macht in ihrem Be- richte hierüber die Bemerkimg, Ebo habe bei dieser Gelegenheit, um den Kaiser zu rechtfertigen und sich durch ein rückhaltsloses Be- kenntnis zu retten, gewisse Dinge etwas* unvorsichtig enthüllt^ ^). Durch diesen unklugen Eifer schmiedete er die Waffen zu seinem eigenen Verderben. Ludwig mit den Bischöfen nach Diedenhofen zurückgekehrt erhob Klage wider den Reimser Prälaten, dass dieser Verbrechen ihm angedichtet, die er niemals begangen, und dass er ;iuf Grund derselben ihn vom Throne seiner Väter gestossen und
(1. K. gestützt wird. Hiervon weicht die Erzählunf^ bei Flodoard 1. c. ab, nach der Ebo mit den Reimser Kirchenschätzen die Flucht zu den Normannen an- iretreten hätte, vom Kaiser aber durch die Bischöfe Rothad von Soissons und Krchanrad von Paris zurückgerufen worden wäre. Es klingt allerdings nicht unwahrscheinlich, dass Ebo für den äussersten Fall den Plan ins Auge fasste, sich den Normannen in die Arme zu werfen, da diese auf Seiten Lothars standen ivgl. Simson II, 125), und er als päpstlicher Legat für den Norden zudem den \'orteil hatte, seine Flucht später als Missionsreise auslegen zu können. Indes wird jener Bericht doch nur den Wert einer Vermutung haben, mit der sich <lie Zeitgenossen das sonderbare Benehmen, sich bei Paris in der Nähe der Seine zu verbergen, zu erklären suchten. — Simson II, 131 N. 11 folgt der Narrat., während Hefele IV, 85 sich an Flodoard anschliesst.
fcl2) Ep. Conc. Tric. 1. c. Narr. der. Rem. 1. c. Flod. 1. c. 13) Mansi XV, 792: Ebo publice tarn pro imperatoris placanda offensa uam pro gratia eins recuperanda et sua iniuria removenda quaedam minus Äute, pro sui tarnen ereptione, in imperatoris iustiücatione et in sua deno- tdtione pronuntiavit. Hierauf beziehen sich auch wohl die Worte im Apolog. Ebonis (Mansi XIV, 778): Nimis tacendo in tempore loquendi nimisque loquendo in tempore tacendi inter cetera memetipaum noxia reprehendi < ontagia. — Simson II, 131 schwächt obige Bemerkung zu sehr ab, wenn er nur daraus entnimmt, dass Ebo „selbst schonungslose Ausdrücke über seine igene Handlungsweise nicht vermied."
30 Kbo8 AbHet'/Aing.
wider alles Recht vom Frieden der Kirche ausgeschlossen habe^^). Der Schuldbewusste wagte es nicht, gleich dem Bischöfe Hildemann von Beaiivais * ^) Auge in Auge vor dem schwer beleidigten Fürsten sich zu verteidigen, sondern forderte, von seinen Amisbrüdern allein gerichtet zu werden, was ihm gewährt wurde^«). Woher, wird man fragen, diese Zaghaftigkeit ? Was war es, das so schwere Strafe auf den Metropoliten herabzog und selbst den sonst so mildgesinnten Ludwig beharrlich ihm die Verzeihung verweigern hiess? Warum wagt es keiner seiner Amtsgenossen für ihn die Stimme zu erheben, und wie kommt es, dass sogar die persönliche Verwendung der Kaiserin für ihn wirkungslos bleibt ^^)? Der an der kaiserlichen Person begangene Frevel bietet für sich allein keinen genügenden Grund, denn an diesem hatten noch viele andere teilgenommen, die unbehelligt blieben ^^). Dass Ebo bei dem Akte der Entthronung an der Spitze stand, erklärt sich daraus, dass Soissons in seiner Kirchen- provinz lag. Indess eine Notiz Hinkmars und Flodoards lüftet etwas den Schleier, der jene Vorgänge verhüllt. Hiernach drohte dem Erz- bischofe eine neue Anklage wegen anderer sehr schwerer Verbrechen, die er früher begangen, und um deren willen er ehemals aus dem Rate des Kaisers verbannt worden war^^). Es waren wohl jene
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14) Ep. Conc. Tric. p. 793.
15) Flod. 1. c. p. 472.
16) Ep. Conc. Tric. 1. c. Hinein, opp. I, 324. Nach Carol. ep. ad Nicol. (Mansi XV, 798) hätte nicht Ebo, sondern die Bischöfe dieses Verlangen geäussert.
17) Carol. ep. ad Nicol. 1. c.
18) Dies hob Ebo selbst hervor (Astron., Vita Hludow. c. 54; SS. II, 640).
19) Hinein, opp. II, 302: (Ebo) conscius criminum, de quibus partim in synodo fuerat accusatus, partim autem, nisi locum i)eteret quaerendi consilium cum quibusdam episcopis, foret nihilominus accusandus, et de quibus se pur- gare non poterat. Flod. 1. c. p. 472: Et quum essent alia etiam crimina, de quibus post hanc accusationem accusandus erat, et de quibus apud imperatorem iam antea fuerat accusatus et non canonice purgatus, sicut et epistola epi- scoporum ad Sergium papam demonstrat, et pro quibusdam eorum exstiterat a consilio imperatoris eiectus, quae patefacta veritate negare non valebat, petiit secessum. Hincm. opp. I 325 : Tale peccatum eis (seinen Beichtvätern) confessus fuerat, pro quo dignus non erat episcopale ministerium ultra iam agere. Sed et hoc ipsi testes et confessores sui intulerunt, quia si idem pec- catum ante Ordinationen! admisisset, nullo modo episcopus ordinari debuisset. Hiermit kann aber nicht die That von Soissons gemeint sein; denn diese war ja allen offenkundig und von Ebo selbst zu Metz feierlich bekannt worden. Auch ep. Conc. Tric. 1. c. p. 793 spricht von einem periculum imminens de impetitis vel impetendis. Vgl. auch Hlothar. ep. ad Leonem IV. (Mansi XIV, 884): Sive convincente sive arguente conscientia, sive quia eum undique
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Kl)()s Al).sot/Aln^^ 31
Geheimnisse wahrscheinlich hochpolitischer Natur ^''), die er zu Metz verraten hatte. Und jetzt wird es auch erklärlich, warum er «ich i. J. 838 mit solchem Eifer den Lotharianern anschloss, weil er eben zwischen 830 und 833 mit Ludwig vollständig zerfallen war und darum sein Heil bei dessen Gegnern suchen musste.
Verlassen und in die Enge gebracht lieh der Metropolit den Ratschlägen der Bischöfe Gehör, welche ihn bewogen, eine öffent- liche Verhandlung zu vermeiden, damit nicht die Würde des ganzen priesterlichen Standes gegenüber dem anmassenden Auftreten der Laien blossgestellt würde^^). Er ergriff das Rechtsmittel der Appella- tion an drei Bischöfe als an selbstgewählte Richter, denen er seine Vergehen in geheimer Beichte bekannte. Nach dem Urteile dieser unterzeichnete er sodann eine schriftliche Erklärung, in welcher er sich, auf Grund seiner nicht näher bezeichneten Sünden, des bischöf- lichen Amtes für unwürdig erklärt, in die Wahl und Weihe eines Nachfolgers willigt und auf das Recht, jemals Beschwerde hiergegen zu führen, verzichtet. Unter Hinzuziehung drei weiterer bischöflichen Zeugen übergab er seine Erklärung der Synode und wiederholte die- selbe mündlich, worauf die Bischöfe das Urteil bestätigend seine Ab- setzung aussprachen^^).
Wenn keinerlei Zwang gegen ihn geübt worden, was freilich -j)äter er und seine Partei behaupten ^^), so war der Richterspruch
leges e c c 1 e s i a s t i c a e tonstringebant. — Diese Schuld Ebos wird in den neuern Darstellungen nicht genügend hervorgehoben. Während v. Noorden S. 21 den Grund für seine Verurteilung nur in seiner hervorragenden Be- teiligung an der Absetzung Ludwigs erblickt, macht Dümmler I, 109 noch auf ili«' Missgunst, womit ihn seine Amtsgenossen verfolgten, aufmerksam. Simson 11, 13-^ weist zwar auf die obigen Quellennachrichten hin, misst ihnen jedoch zu wenig Bedeutung bei. Rückert, De Ebonis vita. Berol. 1844. p. 19 (vgl. i Minimier a. a. 0. N. 66; die Schrift selbst war mir nicht zugänglich) will die Angabe, dass Ludwig Ebo schon früher aus seinem Rate Verstössen, auf eine \'erwech8elung mit Wala oder Elisachar zurückführen.
20) Wenn jene Verbrechen moralischer oder kirchlicher Art gewesen wären, so würden nachmals sich die zahlreichen Bischöfe zu Ingelheim wohl k;ium zu seiner Restitution verstanden haben.
21) Ep. Conc. Tric. 1. c. Hincm. opp. II, 302. Flod. 1. < . p. 472 sq.
22) Hincm. opp. 1, 324. 579. II, 269 sq. 302. 732. Ep. Conc. Tric. 1. c. Flud. 1. c. Die Erklärung findet sich bei Hincm. I, 324. Flod. 1. c. Apolog. i:bonis (Mansi XIV, 778). Narr. der. Rem. (Bouquet VII, 278). Das Urteil ward ain 4. März gefällt (opp. II, 271).
23) Narr. der. Rem. (Bouquet VII, 277 sq.): Diu nimiis terroribus iiuiceratus . . . . , ne diutius in talibus torqueretur et etiam sanus corpore iram niaxirai principis quocumque modo declinaret, coactus scripsit libellum. Apolog.
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unanfechtbar; ob aber auch sachlicli die zerschmetternde Strafe der lebenslänglichen Amtsentsetznng gerechtfertigt war, ist eine an der Hand der vorliegenden Berichte unlösbare Frage. Der Kaiser selbst scheint einigen Zweifel in die Gerechtigkeit des Verfahrens gesetzt zu haben^»); denn sonst liesse sich kaum erklären, warum er das Bistum unbesetzt liess«^), trotzdem sogleich bei der Absetzung Ebos ein Nachfolger designirt worden war««). Mehr als dreissig Jahre später weiss Karl d. K. sogar zu berichten, sein Vater habe durch den Abt Gottfried von Gregorienmünster Pa]jst Gregor IV. um Be- stätigung des Urteils gebeten und als Antwort ein Schreiben erhalten, dessen verheimlichter Inhalt wohl ungünstig für die Synode von Die- denhofen gelautet habe^^).
Nach Schluss der Synode musste Ebo wieder nach Fulda in's (;«nvahrsam wandern, aus dem auch die erneuerten Bemühungen der Kaiserin, des Erzkapellans Drogo und des Abtes Mark ward von Prümj den Unglücklichen nicht zu erlösen vermochten ^ 8). Vielmehr erschien j
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Ebon. (Mansi XIV, 77G): Tribus afflictus pressuris (nämlicli: siiblatis rebus Omnibus, in ira vel custodia opprossus principis : Bouquet VII, 282) insuper et fessus aegritudine corporis.
24) Auch Hraban wagt es nicht, die damaligen Richter zu verteidigen: Videant illi, qui hoc egerunt, utrum iuste an iniuste hoc fecerunt (ep. ad Heribald. ap. Hartzheim, Conc. Germ. II, 211).
25) Diesen Grund macht auch Karl d. K. geltend (ep. ad NicoL, Mansi XV, 799). — üümmler I, 110 will die lange Vakanz damit erklären , dass Ludwig den Papst durch eine Neubesetzung nicht noch mehr habe reizen, v. Noorden S. 22 f. dagegen, dass er sich eine freie Verfügung über die Güter des erledigten Stuhles habe sichern wollen. Allein es ist zu bedenken, dass Ludwig seit seiner Wiedereinsetzung der Kirche äusserst günstig gesinnt war (vgl. die Aachener Synode v. J. 836. Hefele IV, 88 tf.j, und dass erst Karl d. K. sich Eingriffe in das Reimser Kirchengut erlaubte (vgl. unten N. 46).
26) Opp. I, 325.
27) Ep. ad. Nicol. 1. c. — Dümmler I, 110 beanstandet diese Nachricht nicht, V. Noorden S. 22 aber und auf ihn gestützt Simson II, 135 verwerfen sie. Indess ist das übereinstimmende Schweigen der übrigen Quellen über diesen Punkt, worauf v. N. hinweist, ja natürlich, da die Sache geheim geblieben war. Wenn derselbe ferner es für ganz unglaublich hält, dass Ludwig „dem Urteile desselben Papstes Gregor IV., der gemeinsam mit den fränkischen Bischöfen an ihm zum Verräter geworden, den Prozess gegen Ebo zur schliesslichen Ent- scheidung unterbreitet haben soll," so ist zu erwidern, dass dies nicht auf Grund des persönlichen Zutrauens zum Papste, sondern dessen amtlicher Auk- torität geschehen sein wird. Uebrigens ist ein Briefwechsel zwischen Aachen und Rom Ebos wegen auch durch Kaiser Lothar bezeugt, indem dieser an Leo IV. schreibt, der Papst kenne aus den zu Ludwig d. F. Zeit an ihn ge- richteten Schreiben die lange Vakanz des Reimser Stuhles (Mansi XIV, 884).
28) S. Dümmler I, 109 N. 69.
Die Restitution Kbos. »^3
(lieser dem Kaiser noch ininier so gefährlich, thuss «»r die deutsche Abtei nicht für sicher genug hielt und ihn dem Bischöfe Frekulf von Lisieux und zuletzt dem Abte Boso von Fleury an der Loire zur Obhut gab^-'). Hier schlug dem ehemaligen Metroj)oliten die Stunde der Befreiung, als Ludwig am 20; Juni 840 von hinnen schied. Er' eilte nach Ingelheim, wo sich im August eine glänzende Versamm- lung von Herren und Prälaten aus den verschiedensten Teilen des Keiches um Lothar, den neuen Herrscher, scharte, und empfing eine vom Kaiser ausgestellte und von 18 Bischöfen unterzeichnete Ur- kunde^'^), die ihm Würde und Bistum zurückerstattete. Wenn wir der Erzählung einiger Reimser Geistlichen Glauben schenken dürfen, hielt er dann am 6. Dezember seinen feierlichen Einzug in die Me- tropole, mit Jubel von dem Klerus und der Menge des Volkes em- pfangen. Vier seiner Suffragane begleiteten ihn, während die übrigen, die sich mit Krankheit entschuldigen Hessen, durch Gesandte vertreten waren. In der Kathedrale wurde das kaiserliche Restitutionsedikt ver- lesen, und von den Sutfraganbischöfen ein Schriftstück unterzeichnet, worin Ebo als Erzbischof von Reims anerkannt wurde^'). Ihn diese Zeit muss er auch jenes Schriftchen veröffentlicht haben, das den Hauptbestandteil des „ Apologeticum Ebonis"'-) ausmacht und das eine
29) Narr. der. Rem. (Boiiquet VII, 278), v^l. P4). Conc. Tric. (Mansi XV. 793).
30) Mansi XIV, 773. Bouquet VIII, 366. Statt des Datums VIII. kal. Jul. ist vielleicht VIII. kal. Sept. zu lesen, vgl. Bouquet 1. c. p. 367 n. b. und Hefele IV, 100.
31) Narr. der. Rem. 1. c. p. 279. Apolog. Ebon. n. II (Mansi XIV, 775). — Jene Bischöfe erklärten 853 auf der Synode von Soissons (actio V : Mansi XV, ••>^7) ihre Unterschrift für gefälscht. — Die Centuriatoren behaupten, die Akten der Provinzialsynode, durch welche Ebo in Reims eingeführt worden, vor sich gehabt zu haben. Sie bemerken Cent. IX, c. 9 (ed. Basil. 1565 p. 418): (Ebo) l)er synodum provincialem , cui interfuerunt Reudericus (corr. Theodericus) < Jameracensis et Rothadus Suessionensis, Hildemannus Belvacensis, Ragenarius Aminanensis cum aliis tribus episco])is restitutus est: eo quod tempus poeni- tentiae esset absolutum: et quod exempla vetera testarentur, licere episcopum Depositum post poenitentiam cum consensu ejnscoporum, regis et plebis revo- care: ut ipse testatur in actis istius Synodi. Aber mit den „Akten" haben sie wohl nur das Apolog. Ebon. gemeint, wie das „ut ipse testatur**, welches sich auf den ganzen Passus bezieht, andeutet. Daas hier 7, dort 8 Bischöfe genannt werden, kann auf einer bei ihnen nicht selten bemerkbaren OberHilchlichkeit beruhen. Von der siebenjährigen Busse ist auch im Apolog. die Rede, und wenn dort auch nicht der angeführte Rechtsgrundsatz ausgesprochen wird, so liegt er doch dem ganzen Vorgange zu Grunde, und die Centuriatoren konnten ihn leicht abstrahiren.
32) Mansi XIV, 776 n. III (der Text bei Bouquet VIT, 281 sqq. ist besser, aber nicht vollständig). Dieser Teil ist das eigentliche Apologeticum ; von den
S c h r ö r s , Hinkraar von Reims. 3
34 Das ^Apologeticum Ebonis".
Art Proklamation an die niedrige Geistlichkeit und die Gläubigen seines Sprengeis zu sein scheint. Es enthält eine sehr wortreiche und salbungsvolle, im elegischen Tone der Unschuld gehaltene Dar- legung des Herganges liei seiner Aljsetzung und l)eriihrt am Schlüsse kurz die Restitution in Ingelheim. Ueber die Eutthnmung Ludwigs und seine Beteiligung daran schlüpft Ebo mit der frommthuenden IMirase hinweg, die letzten Zeiten des Kaisers seien im Gegensatze zu di^n früheren sehr unglücklich gewesen und hätten unter dem gött- lichen Zorne geseufzt, indem, wie es nach der Weissagung am Ende der Tage geschehen werde, die Söhne sich gegen die Eltern erhoben hätten. Sein freiwilliges Bekenntnis führt er auf seine demütige Bussgesinnung zurück und behauptet, dass er dasselbe nur um dem äussern Drucke zu entgehen und in der Meinung, es werde nicht zu seiner Verdanunung, sondern zu seiner Rettung dienen, abgefasst habe. Zudem iinde sieh in jener Erklärung kein Vergehen näher bezeichnet, auf Grund dessen eine Verurteilung hätte erfolgen können. Wenn er sich in derselben „indignus episcopus" nenne, so dürfe das niemand irre machen, da er zum Ausdrucke seiner Demut immer so zu unter- schreiben pflege.
Ebo schien den Hirtenstab des hl. Remigius wieder fest in seiner Hand zu halten, so dass drei nach seiner Absetzung geweihte Sufi'ra- gane sich gedrungen gefühlt haben sollen, noch nachträglich seine Bestätigung zu erbitten ^^).
Er übte seine Gewalt ungehindert aus und erteilte auch Weihen, unter welchen die des Wulfad und seiner Genossen später zu erbit- terten Kämpfen Anlass gegeben hat. Dennoch konnte er sich nur ein Jahr in Reims behaupten^*). Als Karl d. K. siegreich im nord-
beiden andern Stücken enthält das erste einen Bericht über die Restitution zu Ingelheim, das zweite die Anerkennungsurkunde der Suitraganbischöfe (s. N. 31). — V. Noorden 8. 23 glaubt, dass das Apologeticum eine Rechtfertigungsschrift für das Verfahren von Ingelheim gegen eine von unbekannter Seite ausgegangene Beanstandung sei. Dagegen scheint mir aber der Umstand zu sprechen, dass der Ingelheimer Vorgang nur flüchtig berührt wird, und dass der Ton ein ganz populärer ist, auch nirgends eine erhobene Einsprache angedeutet wird.
33) So berichten Carol. ep. ad Nicol. (Mansi XV, 71>9) und Narr, der. Rem. (Bouquet VII. 279). Die drei Bischöfe stellen es zwar auf der Synode von Soissons V. .1. KyA (actio V.; Mansi XV, 987) in Abrede, jedoch hält Karl 1. c, der allerdings Interesse daran hatte, an der Thatsache fest, und nach Hinkmar (ep. ad Anastasium, opp. II, 825) soll auch Rothad jene Behauptung im ge- heimen aufrecht erhalten und zu Soissons zugegeben haben, mit Ebo in kirch- licher Gemeinschaft gestanden zu haben.
34) Flod. 2, 20 p. 474. Narr. der. Rem. 1. c. sagt irrig, dass Ebo wenigstens zwei Jahre in Reims geblieben sei. Ep. Conc. Tric. (Mansi XV, 793)
I
Khos abermalijfer Sturz. ' •^>
iVsfcliclhMi Frankreich vordrang, musste er fliehen'^') und fand Auf- nahme bei seinem Beschützer Lothar, der ihn als Werkzeug für spätere I^läne aufbewahren wollte. Dieser stattete ihn mit einigen Abteien aus und verwandte ihn zu Gesandtschaften und andern Dienst- leistungen^*'). So kam er auch in kaiserlichem Auftrage mit dem Bischöfe Drogo von Metz zu dem eben erwählten (Januar 844) Papste Sergius IL nach Rom nnd suchte bei dieser Gelegenheit seine Recon- ciliation und das Pallinm vom apostolischen Stuhle zu erlangen. Es wurde ihm jedoch nur die Laienkommunion zugestanden^^). Wie Hinkmar und das Koncil von Soissons^^), so haben auch Spätere**) hierin den Beweis erblicken wollen , dass der Papst Ebos Absetzung als gültig betrachtet habe. Dagegen hat aber schon Nikolaus L mit Recht bemerkt*^), dass der römische Stuhl durch jenes Verfahren gar kein Urteil abgegeben habe; dass der Papst vielmehr zu solcher Zu- rückhaltung genötigt gewesen sei durch die Kanones von Nicäa, welche die Wiederaufnahme eines Exkommunicirten verbieten, solange nicht eine abermalige Untersuchung stattgefunden hat.
Sergius hat eben die Thatsache der Absetzung vorläufig als zu Recht bestehend angesehen und dem Verurteilten demgemäss die Zeichen der bischöflichen Würde verweigert, zumal da Ebo nicht iippellirend nach Rom gekommen war, sondern hochmütig die Er- füllung seiner Forderung begehrend. Soviel folgt also nur aus dem Verhalten des Papstes, dass er die Wiedereinsetzung zu Ingelheim nicht als rechtskräftig betrachtete.
Nach dem Sturze Ebos ruhte die Leitung der Diözese in der Hand des Priesters Fulko, Abtes von St. Remi in Reims**), dem
lagegen berichtet, da.ss er geflohen, als Karls Heere die Seine überschritten, was im Spätsommer 841 geschah. Hefele IV, 112 irrt daher, wenn er Kho schon im Mai 841 vertrieben werden lässt.
35) Hincm. ep. ad Egil. (opp. II, 287): Ostensa est etiam synodus epi- >coporum prov. Bituricensis, cui praesedit Rodulfus ....,- qua ab ipsis, qui interfuerunt, et ab Aiulfo, qui unus fuit de iudicibus Ebonis audierunt, com- )irobatum fuit eundem Ebonem regulariter fuisse depositum. Hiervon berichtet -onst niemand etwas. Delalande, Concil. Gall. Supplem. Paris 1666, p. 143 setzt diese Synode in d. J. 841, weil Karl am 12. Jan. 841 zu Bourges Ur- kunden für Nivers bestätigte; sie müsste daher noch vor die zweite Vertreibung Ebos fallen. Hefele IV, 103 weist sie d. .1. 842 oder 841 zu.
36) Ep. Conc. Tric. 1. c.
37) Opp. 1, 326. Mansi XV, 716.
38) Mansi XIV, 985.
39) So V. Noorden S. 35.
40) Ep. ad episc. synod, Suess. Jaffe n. 2822 (2133). Mansi XV, 744.
41) Vgl. Marlot, Hist. de ReiniM 11. 337. Ofimmlpr I. 110 },f^z»M('lin«'t ihn als Abt von Juraieges.
M) • Verwalter des Erzbisturas.
Kaiser Lndwijjf sclion i. .1. 8:i5 das Erzbistum übertragen hatte. Der- selbe hat aber weder die bischöfliche Weihe empfangen, noch ist er jemals förmlich zum Erzbischofe ernannt worden. Er amtete noch l)eini Hegiiine des J. 844; alsdann folgte ihm bis zur Wiederbesetzung 'des Stuhles ein gewisser Notho'^). Die FontiHkalhandlungen wurden in dieser Zwischenzeit von benachbarten Bischöfen vorgenommen*^). So wird vom Bischöfe Lupus von Chalons ausdrücklich erwähnt, dass
42^ Opp. I, 825. II, 272. Flod. 2, 20 u. 3, 1 p. 474. — Soviel ich «ehe, hält man jetzt ziemlich allgemein Fulko und Notho für Chorbischöfe ; so Dümmler I, 242, v. Noorden S. 36, Weizsäcker (Der Kampf gegen den Chor- episkopat d. trank. Reiches. Tübingen 1859. S. 7 und in Niedner, Zeitschr. f. d. histor. Theologie. 1858 S. Si^iy), während Hinschius fDecretales Pseudo-Isidor. praef. p. CCXI), wie schon früher Marlot (Hist. de Reims II, 509) und Mabillon (Annal. 1. 26 n. 98 sqq. II, 351), wenigstens in Fulko einen solchen erblickt. Man stützt sich bei dieser Ansicht auf eine Bemerkung Hinkmars bei Flodoard (8, 10 p. 483): „Ut episcopo quolibet defuncto per chorepiscopum solis pontifi-
cibus debitum ministerium perageretur sicutet in nostra ecclesia
i a m s e c u n d o actum f u i s s e t" , und versteht das „iam secundo" entweder von der zweiten Vertreibung Ebos oder von der zweiten chorbischöflichen Ver- waltung in der Person des Notho. Allein dass sich jene Worte auf die Zwischenzeit nach Ebos Absetzung beziehen, wird durch nichts angedeutet, und auch das „episcopo defuncto *" passt nicht auf diesen Fall. Und selbst wenn man jene Notiz hierhin beziehen will, so folgt daraus nicht, dass gerade Fulko und Notho Chorbischöfe waren und nicht vielleicht solche neben diesen ge- waltet haben. Wir wissen wenigstens von den letzten Jahren der Vakanz, dass Rikbold Chorbischof in Reims war, wie auch Weizsäcker (Chorep. S. 7) annimmt; denn Hinkmar (opp. II, 262) sagt von Gottschalk: „Qui a Remorum chorepiscopo, qui tunc erat, contra regulas presbyter ordinatus est," wobei sich das „tunc" auf die Worte des unmittelbar vorhergehenden Satzes : „antequam ad episcopatus ordinem pervenirem" bezieht.' Wenn Weizsäcker (Niedner, Zeitschr. S. 366) sich ferner auf die Auktorität Marlots beruft, der verlorene handschrift- liche Quellen vor sich gehabt haben müsse , so ist dieser Beweis höchst un- sicher, da Marlot von solchen nichts bemerkt, während er es sonst beizufügen pflegt, und überhaupt gar nicht sehr zuverlässig ist. Entschieden gegen obige Ajisicht spricht aber die Thatsache, dass Fulko — Notho wird überhaupt nicht weiter erwähnt — nirgends als Chorbischof bezeichnet wird, sondern immer entweder mit seinem blossen Namen oder als „presbyter" oder „abbas" ; s. Flod. 3, 1 p. 474. 2, 20 p. 473. Hincm. Vita S. Remigii c. 9 n. 128 (Rolland. Acta Sanctor. Octob. I, 164). Narr, cleric. Remens. (Bouquet VII, 280). epist. Conc. Tricass. (Mansi XV, 794). Carol. ep. ad Nicol. (Mansi XV, 798). Urkunde Karl d. K. füi- Reims (Flod. 3, 4 p. 477). Verbrüderungsvertrag zwischen St. Remi und St. Denis (D'Achery, Specileg. ed. de la Barre III, 333 sqq). Urkunde bei Mabillon, Annal. 1. 32 n. 71 (II, 642). Jene Nachricht bei Flodoard ist daher auf Chorbisehöfe früherer Zeiten zu beziehen, wie wir z. B. wissen, dass während des Exils des Erzb. Rigobert unter Karl Martell ein solcher in Reims wirkte (Clouet, Hist. eccles. de la province de Treves. Verdun 1851. II, 477).
43) Hlothar. ep. ad Leonem IV (Mansi XIV, 885).
Zerrüttung der Heimser Kirche, «^7
er /u Heinis das Chrisma geweiht und Weihen erteilt habe^"*). I)i»' Verniö^eiisverwaltuTit]^ führte Pardulus, der nachmahge Bischof von haon, als vice-dominus der Jleiniser Kirche'*-'). Bei solcher Lage niusste die Provinz und noch mehr die Diözese selbst einem Zustande der Verwirrung und Auflösung entgegen eilen. Dazu gesellte sich,-' dass seit dem J. 843*^) Karl d. K., der während der Kämpfe mit seinen Brüdern beständig in Verlegenheit war, womit er seine gierigen Anhänger an sich ketten und ihre Treue erkaufen sollte*^), mit rück- sichtsloser Hand in das Eigentum des hl. Hemigius eingriff und eine Besitzung nach der andern vergab. Herren geistlichen und weltlichen Standes, eine Aebtissin und sogar der Leibarzt und Hofzwerg ver- standen es, mit Reimser Kirchengut sich zu bereichern. Dass bei der allgemeinen Unsicherheit, die sich aller öffentlichen und rechtlichen Verhältnisse bemächtigt hatte, die Zinsleute des Bistums ihre Abgaben nicht mehr zahlten*^), durfte noch als das kleinere üebel erscheinen. Berechtigt war daher der Klageruf eines Zeitgenossen: „Seufzend trauert die Stadt der Remer"*^), und wir verstehen es, wenn die Bi- schöfe auf dem Koncile von Verneuil im Dezember 844 mit bewegten Worten auf die „ihres Hirten beraubte, ausgeplünderte, unter der Last des LTnrechtes niedergedrückte und so schmählich verletzte Kirche" hinweisen und vom Könige die Besetzung des verwaisten Sitzes fordern ^^).
Karl gab der Stimme der Gerechtigkeit Gehör und wandte seine Blicke auf den bei der Synode anwesenden Hinkmar, der die Eigen- schaften in sich zu vereinigen schien, welche die Stellung eines so hervorragenden Metropoliten wie der von Reims war, namentlich in diesem Augenblicke erheischte. Zwar war er erst seit wenigen Jahren Priester, da er in einem Verbrüd er ungs vertrage zwischen den Stiften St. Denis und St. Remi v. J. 838 noch als „diaconus et monachus" erscheint, und zuerst ein Diplom Karl d. K. vom 12. *August 844 ihn als „presbyter" bezeichnete^); aber seine Geistes- und Willens-
44) Conc. Suess. a. 853, actio VI. (Mansi XIV, 987).
45) Almannus, Transl. S. Helenae (Bolland. Acta Sanctor. Aug. III, 602 E) '/um J. 840. Vgl. Almannus, Miracula (ib. p. 616 E).
46) Hincm., Vita S. Remig. 1. c. p. 164 F: Quando tres fratrc- ti-. .... regnum post patri.s .sui obitum inter se diviserunt, episcopium KemensL' .... Karolu.s inter homines suos divisit.
47) Opp. II, 188.
48) S. die Urkunden Karl d. K. bei Floil. o, 4.
49) Florus, Querela de divis. imper. (Bouquet VII, 301).
50) Mon. Genn. LL. I, 385. Baluze, Capitular. II, 13.
51) D'Achery, Spieileg. ed. de la Barre III, 333 sqq. Bouquet VIII, 4<i7. Vgl. Mabillon, Annal. 1. 32 n. 12 (II, 607 sq.), 1. 33 n. 15 (II, 654).
38 Die Wahl Hinkmars.
kraft, die im königlichen Dienste gesammelte Kenntnis kirchlicher und staatlicher Geschäfte und das volle Vertrauen des Herrschers er- setzten, W5US ihm vielleicht an Alter mangelte. Hinkmar konnte sich nicht verhehlen, welche Last auf seine Schultern gewälzt werden sollte, und wir dürfen seiner Versicherung glauben, dass er sich nicht zu der erzbischöflichen Würde gedrängt hat und nur ungern das (iewand des Mönches mit der Inful vertauschte ; warteten doch seiner in der That „gefahrvolle Stürme eines grossen und weiten Meeres". Und dennoch musste er sich später gestehen, dass er im friedlichen „Hafen des Klosters an zerbrechlichem Taue seinen Anker nachlässig geworfen und leichter als notwendig dem Hinweise seiner Ratgeber auf das Seelenheil Vieler nachgegeben hatte" ^^). Er war nicht der erste Reimser Erzbischof, der aus St. Denis hervorging; sein dritter Vorgänger Tilpin hatte dort ebenfalls in jungen Jahren die Regel St. Benedikts beschwörend^), war aber unter weit glücklicheren Ver- hältnissen auf den Erzstuhl gestiegen, als es Hinkmar beschieden war. Auf der Synode von Beauvais (18. Apnl 845) wurde er von den SufFraganen der Provinz Reims mit Zustimmung des Klerus und Volkes der Metropole gewählt, der Bischof von Paris und der Erz- bischof von Sens mit den übrigen Bischöfen dieser Provinz, sowie der Abt und die Brüder von St. Denis gaben ihre Einwilligung^*). Vor- her jedoch hatte das Koncil die Rechtsfrage .erwogen, ob in Reims eine Neuwahl zulässig sei^^). Ebo hatte nach seiner zweiten Ver- treibung i. J. 841 weder Verzicht geleistet, noch war er von neuem abgesetzt worden, wenngleich der Versuch, in Rom seine Zurück- führung nach Reims zu ertrotzen, misslungen war. Jetzt aber hatte er, bei seinem kaiserlichen Beschützer in Ungnade gefallen, durch die Grossmut Ludwig d. D. das Bistum Hildesheim empfangen^ ^), und diesen Umstand benutzte man zu Beauvais, um der schwierigen Untersuchung, ob er einst rechtmässig abgesetzt und seine Restitution ungültig gewesen sei, auszuweichen. Die Bischöfe beruhigten sich mit der Bestimnmng der afrikanischen Kanones, dass einer Kirche, die durch Entfernung ihres Hirten lange verwaist gewesen, ein neuer Bischof gegeben werden solle, und glaubten sich für die Zukunft genugsam gesichert durch die Dekretale des Papstes Damasus-^'), die
52) Opp. II, 304.
53) Flod. 2, 17 p. 463.
54) Opp. I, 327. II, 272. 303. Mansi XIV, 986. XV, 794. Flod. 3, 1 p. 475.
55) Mansi XV, 794. Flod. 1. c.
56) S. Anhang I.
57) Damas. ad l'aulin. Antioch. Jafte n. 235 (57). Ballerini, Opp. Leon. M. in, 402.
I
Die Synod»» von H«'aiivaia. 39
bestimnit, wenn ein Bischof njich einer jindern Kirche übergesiedelt und ein neuer für den verbissenen Sitz geweiht sei, so dürfe jener nicht zurückkehren, bis dieser gestorben''*). Hinknuir dagegen stellte sich auf den Standpunkt, den er unverrückt festgebalten hat, dass sein Vorgänger durchaus rechtmässig seines Amtes entsetzt wor-' den, und dass der Akt von Ingelheim nichtig gewesen sei. Darum belegte er bei seinem Antritte die gesamte Reimser Kirche mit Busse wegen der Gemeinschaft, in der sie mit dem abgesetzten Ebo gestanden hatte, und erteilte ihr dann die Lossprechung ''^).
Die bischöfliche Weihe empfing Hinkmar am 3. Mai *^") durch die Hand des Erzbischofs Wenilo von Sens, Wer von seinen Suf- fraganen nicht in der Lage war, persönlich an der Feier teilzunehmen, liess ausdrücklich seine Zustimmung erklären"^).
Die Kirchenversammlung von Beauvais füllt nicht bloss ein be- deutungsvolles Blatt der Reimser Bistumsgeschichte, sondern behauptet auch eine denkwürdige Stelle in der damaligen Entwickelung der westfränkischen Kirche überhaupt. Sie bildet, und zwar gerade im Zusammenhange mit der Wahl Hinkmars, wie sich bald zeigen wird, ein wichtiges Glied in der Kette jener Reformkoncilien, die sich in den ersten Regierungsjahren Karls in rascher Folge aneinander reihen. Die Forderungen, die auf diesen vonseiten der Geistlichkeit erhoben wurden, waren nicht neu, sie waren nur der Forthall jener Ideen, die seit mehr als zwanzig Jahren vergeblich nach Verwirklichung gerungen hatten. Aber das verlieh ihnen jetzt neue Kraft, dass die politische Lage günstiger war, insofern Karl d. K., um seinen jungen schwankenden Thron zu sichern, der festen Stütze der Kirche zu be- dürfen schien. Der Umstand, dass ein so klar blickender Geist und
58) Opp. II, 308. Mansi XV, 794. V»\. Anhang I.
59) Mansi XIV, 988.
60) Marlot (lat. Ausgabe I, 387 — in der trän/. Ausgabe II, 388 sagt er bloss „vers le printemps") nimmt den 17. Mai an. Hiermit stimmt über- ein, dass Hinkmars Epitaphium (Flod. 8, 30 p. 555) ihn als ^(anno) episcopatus ^ui 37», mense 7» et die 4*" gestorben bezeichnet, und alte Nekrologien (Mabil- lon 1. 33 n. 24; II, 659) seinen Todestag auf den 21. Dez. setzen. Nach Annal. S. Dionysii Remenses (Mon. Germ. SS. XIII, 82) dagegen fand die Weihe am 8. Mai, der b'45 auf einen Sonntag fiel, statt; und dazu passt, dass Hinkmar (opp. II, 306) von der am 17. Juni 845 eröffneten Synode von Meaux sagt, dass sie „necdum duobus exactis mensibus post ordinationem meam" stattfand, «iallia christiana. Paris 1751. IX, 39 adoptirt den 8. Mai, während Mabillon (1. c.) beide Daten durch die Annahme zu vereinigen sucht, dass Hinkmar am 8. geweiht wurde und am 17. die Regierung der Diözese antrat.
61) Nach Conc. Suess. actio III (Mansi XIV, 986) hätte Rothad die Kon- sekration vorgenommen und wären alle SuflFragane zugegen gewesen.
40 Keformi)läne.
SO energischer Wille wie der tle.s neuen Erzbischofes jetzt als Anwalt der alten Forderungen aufstand, weckte neue Hoffnungen.
Diese Bestrebungen, die sich nun mit verdopi)elter Macht geltend machen, reichen mit ihren Wurzeln in die Zeit Kaiser Ludwigs zurück. Als im ersten Jahrzehnt seiner Regierung der hohe Klerus sich mit aller Entschiedenheit der Einheitspartei anschloss, leitete ihn der Ge- danke, dass eine durchgreifende Verbesserung der kirchlichen Zustände not thue, und dass eine solche nur mit Erfolg durchgeführt und für eine weite Zukunft gesichert werden könne, wenn es gelinge, die staatliche Einheit des Frankenreiches auch unter den Nachfolgern Ludwigs zu erhalten. Männern, die unter dem kirchen politischen Systeme Karl d. G. aufgewachsen waren und von der kaiserlichen Gewalt die vorzüglichste Förderung ihres Werkes erhofften, nmsste diese Verbindung kirchlicher Ziele mit politischen natürlich erscheinen. Auf diesem Boden stehend entwarfen die grossen Synoden von Mainz und Paris i. J. 829^"'*) ihre Reformprogramme, von denen das der letzteren in 94 Kapiteln alle Verhältnisse der Geistlichen und der Laien bis zur Person des Kaisers hinauf bespricht. Noch ehe man indes daran denken konnte, an die Ausführung dieser umfassenden Beschlüsse zu gehen, brach die Empörung der Königssöhne wider den Vater aus und stellte durch die Verwirrung, welche der misslungene Versuch im Gefolge hatte, alles wieder in Frage. Die Synode von Aachen (836) nahm zwar den Plan von neuem auf ^^), ohne jedoch greifl)are Erfolge zu erzielen, da die Ungewissheit der politischen Zu- kunft jede Fortentwickelung lähmte. Und erst als nach Ludwig d. F. Tode die Schlacht bei Fontanetum (841) gleichsam als Gottesurteil gegen die lotharische Partei und ihre Einheitsidee entschieden hatte, konnten die Männer der kirchlichen Reform, nun nicht mehr gehin- dert durch die politische Seite ihrer Bestrebmigen, namentlich in Westfranken an die Wiederaufnahme des früher Begonnenen denken.
Neuen Sporn dazu gab die infolge der Kriege fast aufs höchste gestiegene Not des Volkes und der Kirche. Die Aecker w^aren ver- wüstet, die Häuser ein Raub der Flammen geworden und die Menschen der Beutegier roher Soldaten Avehrlos anheimgegeben. Durch den Friedensschluss von Verdun wurden diese Leiden nur wenig gemildert. Die jetzt zur Lnthätigkeit verurteilten Krieger, die alle Manneszucht verloren hatten und durch keines Herrschers starken Arm in Schranken gehalten wurden, warfen sich wie eine verheerende Plage auf das friedebedürftige Land, das zudem durch Hungersnot und Seuchen
62) Manai XIV, 529—604 ; vgl. Hefele IV, 57 ff.
63) S. oben S. 24. Vgl. Hefele IV, 88 ff.
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Sittlicho und kirchliche /ustilndc. 41
H'hwer heimgevsucht war. Was der Krieg noch verschont, wurde jetzt im Frieden »geraubt; Entsetzen erregend sind die Schilderungen, die uns Bischof Prudentius, Nitliard und andere Zeitgenossen ent- werfen^*). Auch auf die Sittlichkeit des Volkes hatten die langeii Bürgerkänipfe verderblich gewirkt. Durch des alten Kaisers wankel- mütiges Benehmen, indem frühere Eide durch spätere aufgehoben wurden, und durch die leichtfertigen Schwüre der Söhne, die nur geleistet zu werden schienen, um bald gebrochen zu werden, war der Glaube an die Heiligkeit eidlichen Versprechens erschüttert worden. Während die Söhne gegen den eigenen Vater in widernatürlicher Empörung standen und sich zugleich unter einander mit bitterem Hasse befehdeten, war auch bei den Unterthanen die Ehrfurcht vor den Banden des Blutes gewichen. Die Verbrechen in den höheren Ständen fanden ihren Wiederhall beim Volke und bereiteten jeglicher Zuchtlosigkeit die Wege.
Am härtesten duldeten die Kirche und ihre Diener. Kirchliche (TÜter und Einkünfte galten beinahe für herrenloses Gut, welches die Könige sich aneigneten und nach Gutdünken vergabten, oder auch die Grossen eigenmächtig an sich rissen. „Jetzt werden nicht nur," klagt Agobard von Lyon, „die Kirchengüter, sondern die Kirchen selbst mit ihren Gütern feilgeboten" ^^), In gleicher Weise schalteten die Mächtigen über die Besetzung geistlicher Stellen. Noch immer herrschte der seit Karl Martells Zeiten aufgekommene Missbrauch, den reichen Abteien Laienäbte vorzusetzen und Kirchen und Bischofs- stühle als Belohnung für geleistete weltliche Dienste dahin zu geben. Wieviel bei solchem Zustande von der Achtung vor dem Klerus und seinen geistlichen Aufgaben übrig blieb, lässt sich leicht ermessen. Besonders befand sich die niedere Geistlichkeit in einer namenlos unglücklichen und verachteten Lage. Derselbe Zeitgenosse schreibt: „Kein Stand, sei es von Freien oder Unfreien, ist an manchen Orten seines Herdes gegenwärtig so wenig gewiss als die Priester, da sie keine Sicherheit erlangen noch wissen können, wie viele Tage sie ihre Kirche und Behausung werden gebrauchen dürfen" ^^).
Am schwersten lasteten diese Misstände auf der Kirche West- frankens. Hier wurde darum auch sofort, nachdem eine geordnete Regierung durch den Teilungsvertrag von Verdun hergestellt worden, der Ruf nach Reform in so eindringlicher Weise laut, dass er nicht
64) S. Dümmler I, 182—184.
65) De dispensat. rar. eccles. (opp. p. 269), vgl. Düramler I, 184 N. 5.
66) Ib.
42 Refonnkoncilien.
mehr überhört werden komite. Kaum drei Monate nach abgeschlos- senem Frieden erhoben die um den jungen König auf dem Reichs- tage von Coulaines bei le Maus (Nov. 843) versammelten Bischöfe ihre Klagen über den Verfall der Kirche und der gesamten öffent- lichen Ordnung"^). Wurde hier nur erst im allgemeinen eine Ver- ständigung angebahnt, indem der König Recht und Schutz der Geist- lichkeit und allen ITuterthaneu vers])rach, und ihm dagegen Treue und Gehorsam gelobt wurde: so nahmen die kirchlichen Forderungen schon bestimmtere Gestalt bei der Zusammenkunft der drei Franken- könige zu Judiz (bei Diedenhofen) im Oktober 844^^) an. Unver- zügliche Wiederbesetzung der zur Zeit „der Zwietracht'' verödeten Bischofssitze mit Vermeidung der „Pest der Simonie'*, Zurückfülirung der vertriebenen Hirten, Abschaffung des Unwesens der Laienäbte^^), Schutz für das noch gebliebene Kirchengut, Wiedergabe des ent-i fremdeten, Reform der noch „wegen der drohenden Not des Staates" ; unter Laien Verwaltung stehenden Klöster der Kanoniker und Kano- nissen: so lautete das Verlangen der Kirchenfürsten.
Noch deutlicher in seinen Umrissen tritt das Ziel, auf welches die Kirche lossteuert, auf den folgenden Koncilien hervor, die unter sich und mit den vorhergehenden ein einheitliches, planvolles Ganze bilden^"). Die Versammlung von VerneuiU') (Dezemb 844) richtet ihr Augenmerk vorzugsweise auf den gesunkenen Eifer des Welt- und Ordensklerus und die geschwundene Reinheit der ehelichen Ver- hältnisse. Zunächst soll durch Königsboten mit Vorwissen der Bi- schöfe die thatsächliche Lage überall genau untersucht, und dann gegen die Widerspänstigen nötigenfalls mit Strafe eingeschritten werden. Daneben klagen aber auch die Prälaten mit besonderem Nachdrucke und in eifernder Rede über die noch immer fortdauernde Entziehung von Kirchen- und Armengütern.
Viel einschneidender sind die Massregeln, die man zu Beauvais^^) von der Krone verlangt, der gegenüber die Sprache der Kirchen- häupter hier bedeutend selbstbewusster und von dem Gefühle des
67) Mon. Germ. LL. I, 376. Baluze, Capitul. II, 1.
68) LL. I, 380. Baluze II, 7.
69) S. die Zusammenstellung bei Dümmler I, 278.
70) Conc. Meldense, praef. (Mansi XIV, 814): Quartum ex convenientia in praedicto conventu (zu Judiz) coeptum et in Verno palatio perpetra- tum, und cap. 80 (ib. p. 841): Capitulis vestrae religioni (Karl. d. K.) . . . oblatis (auf den vorhergehenden Synoden) hoc diploma (die Kapitel von Meaux), si complacet, annectatur.
71) LL. I, 385. Baluze 11, 13.
72) LL. I, 386. Baluze H, 19.
j
Spezielle Forderungen llinkmarH. 4H
guten Hechtes getragen erscheint. Nicht nur unissten alle von Karl selbst entzogenen Besitzungen erstattet werden, sondern überhaupt seien alle über Kirchengut, auch di«» von Verwaltern vakanter Bis- tümer, ausgestellten Schenkungsurkunden einfach zu vernichten, und sei eine Revision des ganzen Beneficial- und Prekarienwesens vorzu- nehmen. Für die Kirche Schutz vor allen ungerechten Auflagen und vor jeder Art von Käubern und Bedrückern! In der feierlichsten Form, das Schwert in der Rechten, schwört der König, das Begehrte zu erfüllen''^).
Hinkmars Einfluss auf Karl d. K. tritt bei dieser Gelegenheit sichtlich hervor ^^). Er empfängt eine mit königlicher Unterschrift versehene Urkunde, die in acht Kapiteln ganz besondere Vergünsti- gungen für ihn und seine Kirche enthält. Ausser einigen schon in den allgemeinen Beschlüssen der Synode aufgeführten Artikeln, deren Erfüllung ihm noch speziell zugesichert wird, verspricht ihm der König, die von Karl d. G. und Ludwig d. F. für die Kirche von Reims ausgestellten Schenkungsurkunden von neuem zu bestätigen, ferner das kanonische Recht gegen den künftigen Erzbischof streng zu beobachten und nur auf Grund eines kanonischen Vergehens gegen ihn einzuschreiten^^). Es scheint, dass Hinkmar dies als Bedingung für die Uebernahme seines Amtes gefordert hat. Im Kreise der streng
73) Hincm., Admonitio (Migne, 125, 1066 B).
74) Wie Lupus (ep. 42 ad Hincm Migne 11^, 510) vermutet, war Hinkmar es, der Karl d. K. zu dem, wahrscheinlich im Frühjahr 845, zu St. Denis gemachten Gelöbnisse, hinfort besser für die Kirche wirken zu wollen (vgl. Dümmler I, 270), veranlasst hatte.
75) Kap. 17 — 24 von Meaux (Mansi XIV, 822 — 824) scheinen nicht die sämtlichen von allen Bischöfen zu Beauvais aufgestellten Forderungen zu sein, sondern nur eine Auswahl, wie die Ueberschrift „Ex capitulis apud Bel- vacum habitis" andeutet. Auch die von Hinkmar (opp. II, 321) angeführten Kapitel enthalten wohl nicht Forderungen desselben allein, sondern ebenfalls einen Auszug aus den allgemeinen Beschlüssen, deren Erfüllung er sich nur speziell hat zusichern lassen. Er bemerkt (1. c): Haec (sc. capitula) cum aliis, quae ibidem continentur .... vos servaturos promisistis eisdem episcopis, qui praesentes aderant, .... et omnibus episcopis in regno vestro existentibus et in manibus eorumdem episcoporum ad petitionem eoruni dedistis. Sollte der Wechsel von „nobis'' (cap. 1, 6, 7, 8) und „mihi" (cap. 2, 3, 4, 5) nur einen sti- listischen Grund haben? Ich vermute, dass die Recension bei Mansi einerseits und die bei Pertz und Baluze andrerseits nur Auszüge geben, die mit einander nur teilweise übereinstimmen (Mansi cap. 17, 18, 1'.», 24 sind inhaltlich und mitunter wörtlich gleich Pertz cap. 3, 4, 5, 6).
Dass Hinkmar zu Beauvais die „Gestattuug eines Widerstandsrechtes" gegen den König und einen „Handschlag als Garantie" erhalten hätte, wie v. Noorden S. 36 behauptet, kann ich nicht finden.
44 S3mode von Meaux-Paris.
kirchlich j^esiunten Anhilnger der Einheitspartei hatte er am Hofe Ludwig d. F. den Geist der Reform in vollen Zügen eingesogen, und was er im kleinen /ai St. Denis und im kaiserlichen Dienste zu för- dern gesucht, unternahm er jetzt im grossen Stile durchzuführen. In dem geschichtlichen Zusannnenhange dieser konciliarischen Bewegung mit den kirchlichen Idealen der ehemaligen grossfränkischen Partei liegen die Wurzeln, aus denen die treibenden Kräfte seines ganzen LebeiLS aufgestiegen sind. Die Bedeutung seiner Persönlichkeit nicht minder wie das Gewicht seiner Stellung beriefen ihn in dem begin- nenden Ringen der Kirche um freiere Bewegung zur Führerschaft, die er 37 Jahre hindurch mit solcher Festigkeit geübt hat, dass es mehr der Kampf des einen Mannes denn des ganzen Episkopates zu sein scheint.
Mit dem ihm eigenen thatkräftigen Ernste, der nie auf halbem Wege stehen blieb, erfasste er sofort seine Aufgaben. Anderthalb Monat nach seiner Weihe finden wir ihn schon mit den Bischöfen der Provinzen Sens, Reims und Bourges auf' der Synode von Meaux (17. Juni 845)^^). Indem diese Versammlung, die unter Hinzu- ziehung der Bischöfe aus der Kirchenprovinz Ronen am 14. Februar 846 zu Paris ihre Fortsetzung und ihren Abschluss fand'^), die Be- schlüsse ihrer Vorgängerinnen wiederholte und noch 5() neue Kapitel hinzufügte, stellte sie ein umfassendes, bis ins einzelne gehendes Pro- gramm auf, das in einem so entschiedenen Tone abgefasst ist, dass man allenthalben die leitende und vorwärtsdrängende Energie des Erzbischofs von Reims herauszufühlen meint. Die Geistlichen, der Bischof ebensowohl wie der letzte Mönch, werden zu ihrer Pflicht bezüglich aller Richtungen des Privatlebens und der Amtsführung zurückgerufen. Namentlich wird an die den Metropoliten zustehenden Rechte erinnert und an die Bestimmungen, dass zweimal jährlich
76) Mansi XIV, 811 sqq.— Die Centuriatoren Cent. IX, c. 9 (ed. ßasil. 1565 p. 406 sqq.) teilen 30 Kanones (eigentlich 31, von denen aber can. 5 und 8 identisch sind) von Meaux mit, die von den in den Konciliensammlungen überlieferten der Reihenfolge und dem Inhalte nach bedeutend abweichen. Ihr Text ist an vielen Stellen dem herkömmlichen entschieden vorzuziehen. Can. 13, 14, 20, 26, :U fehlen bei Mansi gänzlich. Man kann daher nicht annehmen, dass die Centuriatoren nur eine Auswahl geben wollten, zumal sie einleitend bemerken: ,ln qua (der Synode von Meaux) hi canones scribitur facti". Viel- leicht sind uns hier die wirklichen, zu Meaux aufgestellten Kapitel erhalten, die dann zu Paris durch Weglassung und Beifügung eine Umarbeitung erfuhren, die bei Mansi vorliegt.
77) Ib. praef. Dieses Pariser Koncil fand nicht, wie Mansi u. a. wegen der beigefügten Ind. X annehmen, 847, sondern 846 statt, s. Hefele IV. 119 f.
.SyiKxlc von Meaux-l'jiris. 4»j
Proviii/ijil- und Diözesansynoden abgehalten worden sollen. Ferner wird den Chorbischöfen das üeberschreiten ihrer Befugnisse und die Aiiniassung bisehöfliclier Funktionen untersagt. Kl()ster und Hospi- i;iler sollen wieder hergestellt und die Missbräuche bei der Spendung Icr heiligen Sakramente verbannt werden. Auf den Laienstand zielen die strengen Verordnungen wider das leichtfertige Schwören, wider den Jungfrauenraub und die furchtbar um sich greifende Unsitt- lich keit. Auch auf die der christlichen Gesellschaft von Seiten der während der politischen Wirren immer kecker gewordenen ^*^) Juden drohenden Gefahr deuten die Bischöfe hin und bi'ingen die alten Gesetze gegen dieselben in Erinnerung. Die Kirchenfürsten erwarten zwar vom Könige thätigen Beistand zur Verwirklichung dieser Reform- pläne, sind aber doch einsichtsvoll genug, nicht Unmögliches zu ver- langen. Sie bemerken ihm: „Wenn Ihr dieses in allen Stücken er- füllen könnt, wie wir es in Wort und Schrift Euch aus göttlichem Auftrage vorgelegt haben, so danken wir Gott. Wenn Ihr es aber wollt und noch nicht könnt, so freuen wir uns, je mehr Ihr Euch der Vollführung nähert '' ^^).
Mit diesen Worten war auf die brennende Frage angespielt, Jie jetzt der Lösung harrte. Das beabsichtigte Reformwerk berührte manchen Punkten die Interessen der weltlichen Grossen sehr nahe, id wenn diese nicht ihre Unterstützung liehen oder wenigstens keine lindernisse in den Weg legten, konnte es kaum mit Erfolg begonnen rerden. Wird es dem Könige gelingen, das zu .immer grösserer jlbständigkeit gelangende Vasallentum , das zudem während der Uirgerkriege den Sinn für Zucht und Ordnung verloren und dabei nnen Vorteil gefunden hatte, den Ansprüchen der Kirche geneigt machen? Und wenn nicht, wird Karl dann nicht in der gegen- rärtigen Lage, wo der Norden des Reiches unter den Verwüstungen jr normannischen Seeräuber seufzt, Pippin die Herrschaft über Lquitanien an sich gerissen hat, er selbst im Kampfe gegen den igenen Vasallen, den Bretonenherzog Nominoi, unrühmlich unter- jen ist, Bedenken tragen, die weltlichen Herren zu verletzen, um ich den Bischöfen willfährig erweisen zu können? Oder wird er viel staatsmännisches Geschick zeigen, dass er zwischen den beiden [lippen durchzusteuern versteht, die feste Stütze des Klerus nicht irückstösst und den Adel nicht reizt? Das alles musste sich jetzt itscheiden.
78) S. Dümmler I, 271) f.
79) Cap. 80, p. 841.
46 Reichstag: von Epernai,
,Ge^on das HtM-kouinKMi" ^") berief Karl im Juni 840 einen rtUssergeNvölmlichen Reichstag nach Epernai, wo die Beschlüsse von Meaux- Paris den Baronen vorgelegt wurden. Schon^ gleich beim Beginne der Verhandhingen zeigte sich, welche Verstimmung die Vorscliläge zur Kirchen Verbesserung in den Reihen der Aristokratie hervorgerufen hatten. Sie wies eine gemeinsame Beratung mit den geistlichen Würdenträgern hochfahrend zurück — ein Benehmen, das ebenso ungerecht als unerhört war. Von den 80 Kapiteln der Synoden von Meaux und Paris fanden nur 19 die Bestätigung der weltlichen Herren ^^). Mag sich dies auch zum teil daraus erklären, dass unter jenen manche von gleichem oder ähnlichem Inhalte waren, so erregt doch das Prinzip, nach dem man die Auswahl traf, unsere Ver- wunderung. Denn während die meisten Bestimmungen über Zurück- erstattung des Kirchengutes, das sich doch zu einem guten Teile in den Händen des Adels befand, unbeanstandet blieben, wurden die auf Reform des Klerus, auf Verbesserung von Zucht und Sitte, gegen die Uebergriffe der Chorbischöfe gerichteten und dem Interesse der Grossen weniger gefährlichen Forderungen ganz zurückgewiesen. Wollte man nur eine Demonstration gegen den geistlichen Stand machen^^), oder fürchtete man den wachsenden Einfluss der Geistlichkeit, wenn man ihr gestattete, sich zu ermannen? ^^) Sicher ist, dass die Bischöfe
80) Prudentius, Annal. a. 846 (SS. I, 442).
81) Mon. Germ. LL. I, 3S8.
82) So V. Noorden S. 38.
83) Wenck, das fränk. Reich nach d. Vertrage von Verdun. Leipz. 1851. S. 138 f.: ^Laune, Zufall und Gründe des Augenblicks mögen bei der Annahme mancher Beschlüsse, bei der Zurückweisung anderer im Spiele gewesen sein. Auftauend bleibt aber doch immer die Verwerfung vieler auf die innere Dis- ciplin des Klerus gerichteter Artikel. Bei einigen mochte sie aus der Be- fürchtung der Laien hervorgehen, in der freien und vorteilhaften Handhabung ihrer Patronatrechte gestört zu werden."' Da die Geistlichen von ihren welt- lichen Herren oft zu den niedrigsten Diensten missbraucht wurden, war es natürlich, „dass die versammelten Krieger Karls auch von solchen Kirchenge- aetzen, die ihnen bei Besetzung ihrer geistlichen Stellen irgendeine Be- schränkung aufzulegen drohten, nichts wissen wollten; leicht begreiflich ist es femer, dass sie sich auch im Gebrauche ihrer Haus- und Dorfkapellen keine Schi-anken zu setzen gemeint waren durch eine erneuerte Anerkennung der Vorrechte, welche den Ptarr- und Taufkirchen vor jenen zukamen. (S. über diese Missbräuche und die Angritte der Reformpartei gegen dieselben Maassen, Glossen des can. Rechts aus d. karoling. Zeitalter. Sitzgsber. d. Wien. Akad. phil.-hist. Kl. Bd. 84 S. 247 ff".) Dagegen scheint es bei vielen andern der verworfenen Artikel, als habe ihre Verwerfung nur für unwürdige Glieder des heiligen Standes selbst ein Interesse darbieten, nur von ihnen gewünscht und
HeichHtiij,' von Kpcrnai. 47
die Kriliikini<i: liart empfanden. Einer von iliiuMi verzeichnet sie mit den Worten: „Die sehr dringlichen Vorstellungen der Bischöfe über kircliliche Ant^elegenlieiten sind so gering gejiihtet worden, da«s kaum jemals in christlichen Zeiten die Ehrfurcht vor dem Priester- tume so hintangesetzt worden ist" **^). Nicht ganz unerwartet kam jedoch dem Episkopate dieser Ausgang seiner, synodalen Arbeit. Schon auf dem Koncile von Verneuil gibt sich im Vorgefühle, dass von Seiten der weltlichen Vasallen Vereitelung des Eirstrebten droht, eine ziemlich gereizte Sprache gegen diese kund^''), und noch mehr wirft auf der Versammlung von Meaux der Juni 846 seine Schatten voraus***^).
Es ist ein wichtiger Wendepunkt, den der Tag von Epernai bezeichnet. Für das Verhältnis, zwischen Geistlichkeit und Adel bildet rv den Anfang einer wachsenden Entfremdung, die äusserlich dadurch erkennbar wird, dass gemeinsame Beratungen über geistliche und weltliche Angelegenheiten, die halb Reichstag halb Synode ehemals so gewöhnlich waren, nicht mehr stattfinden, dass rein kirchliche Versammlungen aber um so häufiger werden. D;is Band zwischen »ieistlichkeit und Königtum lockert sich immer mehr, bis Karl im I )range der Not sich wieder in die rettenden Arme der Kirche wirft.
Der bisher eingeschlagene Weg zur Reform war durch das P^reignis von Epernai abgeschnitten, aber das mächige Bedürfnis nach derselben war damit nicht erloschen, es fand seinen verschärften Aus- druck in der um diese Zeit entstehenden pseudo-isidorischen Dekretalen- -junmlung'*^). Indem der oder die Fälscher die Forderungen der
vt'iaiila.sst werden können." Vielleicht bewo<^en «gerade diese die weltlichen Herren zu ihrem Verhalten.
84) Prud. Annal. 1. c.
85) C. 12 (LL. I, 385 sq.)
86) Die Bischöfe fordern, dass ein weltlicher Vasall, der sich ihren I 'orderungen widersetze, „honore quo in re publica fruitur, sine retractione a it'j^ia niaiestate privetur et insuper exilii vel afflictionis cuinslihet. prout ordo • cclesiasticus et regalis severitas decreverit, ultione i)lectatur'' (cap. 79; Mansi 1. c. p. 841).
87) Vgl. über die Tendenz Pseudo-Isidor^ Hinschius (Decretales Pseudo- Isidorianae. Lipsiae 1863. Praef. p. CCXVII sqq.) und Roth (Zeitschr. f. Rechts- geschichte Bd. 5 S. 1 tt'.). Dass die Sammlung in Westtranken und näherhin in der Reimser Kirchenprovinz entstand, darf jetzt wohl nU ausgemacht gelten. Leber die Zeit der Abfassung gehen freilich die Meinungen noch auseinander. Der von Hinschius p. CLXXXIll sqq. CGI angenommene früheste Termin (Tod 'Mgars von Mainz, 21. April 847) ist mit Recht von Wasserschieben (Dove,
itschr. f. Kirchenr. Bd. 4 S. 290), Roth 1. c. S. 14 ff., Kraus (Tübing. theol. '^uartalschr. 186^ S. 487j aus verschiedenen Gründen angefochten worden. Aber
I
4^ HeHtitiition der lleiiiiHor Kirchenj^üter.
tViiiilvischen Ueforrakoncilieu mit der ehrwürdigen Auktorität des hohen Altertums umkleideten, durften sie hoffen, dass mit der Zeit jeder Widerspruch verstummen werde, und indem sie die päpstliche Supre- matie jiuch in der fränkischen Kirche zu allseitiger Durchführung zu bringen suchten, wollten sie <ler Kirche die Mittel geben, aus sich selbst heraus das grosse Werk zu vollbringen.
Inzwischen wirkte Hinkmar durch statutarische Gesetzgebung für die Erneuerung des kirchlichen Lebens in seiner Diözese, und andere Bischöfe folgten seinem Beispiele'^*). Sodann gelang es ihm, allmählich die Restitution der Keimser Kirchengüter beim Könige m durchzusetzen , ein Erfolg, welchen er wohl den ihm speziell zu Beauvais gemachten Zusagen zu danken hatte. ^
Schon am 1. Oktober 845 wurden ihm durch königliche ^r-A künde sämtliche von Karl d. K. während der P]rledigung des Reimser ' Stuhles als Beneiicien vergebenen Güter zurückgestellt mit dem vollen Verfügungsrechte über dieselben für ihn und seine Nachfolger, inde alle andern auf sie bezüglichen Diplome für nichtig erklärt wurden*^ Unter dem Datum des 2. Sept. 847 erwirkte er dann einen Befehl des Königs, dass alle von dessen Ahnen oder von den früheren Ver- waltern des Erzbistums oder von sonst irgend einem entfremdeten Besitztümer ihm ausgeliefert würden. Zugleich schärfte Karl die Entrichtung des Neunten und Zehnten ein und verordnete, dass ein Bevollmächtigter Hinkmars in Gegenwart von Königsboten die Leistung derselben dort, wo sie in Vergessenheit geraten, von neuem in An- spruch nehmen sollte ^^). Es ist uns eine Urkunde über eine solche Gerichtsverhandlung, die am 13. Mai 848 zu Courtisols ^^) stattfand,
auch d. .T. 853 als Endtermin ist nicht haltbar. Denn dass die Narratio clericor. Reraens.,. in welcher die erste Benutzung der neuen Dekretalen nachweisbar ist, 853 verfasst wurde, hat Hinschius p. CGI ohne Beweis angenommen; die- selbe gehört vielmehr höchst wahrscheinlich einer späteren Zeit an (s. unt. Kap. 3 N. 65 und 67). Sodann hat man bisher — nur Langen: „Nochmals: wer ist Ps.-Isidor" (Sybels Hist. Ztschr. 1882 S. 473 ff.) ist, wie ich eben nach- träglich sehe, auf diesen Punkt aufmerksam geworden — immer übersehen, dass bereits in 0. 11 der Reimser Diözesansynode v. 1. Nov. 852 (Hincm. opp. I, 713) Ps.-Stephan C. 8 (Hinsch. p. 183) erwähnt wird, wodurch der Reimser Ursprung der Dekretalen eine neue Bestätigung erhält. Da nun die Kanones V. Meaux (845), die vielfach dieselben Gegenstände wie Ps.-Is. behandeln, noch keine Spur von demselben zeigen (s. Hinsch. p. CC), so darf man wohl als sicher annehmen, dass die Fälschung zwischen 845 und 852 entstand.
88) S. unten Kap. 22.
89) Urkunde bei Plod. 3, 4 p. 477 und Bouquet VIII, 478.
90) Flod. 1. c. Bouquet VIII, 492.
91) So bestimmt Lognon, fitudes sur les pagi de Gaule, 2^ parti. Paris 1872 p. 112 das „Curtis Acutior" der Urkunde.
Restitution der Koimser Kirchenpfflter. 40
.rhalten'^^): vor den erz bischöflichen Boten werden acht Personen, die hei zu sein behauptet hatten, durch Zeugen überführt, dass sie Leib- i'ii^ene der Reimser Kirche seien, und denigemilss durch Schöffen- iirteil dem Metropoliten zugesprochen. Ferner wird ein königlicher Ivestitutionsbefehl betreffend Reimser Kirchengüter in Aquitanien er- wähnt ^^). Auch eine neue Bestätigung der von Ludwig d. F. zum Baue der Marienkirche in Reims erteilten ^*) Privilegien wusste Hink mar zu erlangen ^^).
Solche schnelle und glückliche Erfolge steigerten das Ansehen des neuen Erzbischofs in kirchlichen Kreisen. Der Abt Servatus Lupus von Ferrieres hebt Hinkniars vertrauten Umgang mit dem Könige hervor und glaubt in ihm ein Werkzeug der Vorsehung zu erblicken, dazu bestimmt, die Anliegen der Unterthanen am Throne zu empfehlen. Er bittet ihn, die Sonne seines Wohlwollens über alle leuchten zu lassen und sich besonders für ihn zu verwenden, damit tr eine zu seinem Kloster gehörige Zelle durch Verfügung des Königs wiedererlange ^^).
Dass Hinkmar ob der Bemühungen, den Besitzstand seiner
Kirche wiederherzustellen, nicht die andern Forderungen der Synode
von Meaux aus den Augen verlor, dafür zeugen einige Spuren in
inem Briefwechsel. So verhandelte er mit Erzbischof Amolo von
92) Bei Marlot (lat. Ausg.) I, 390; besser bei Guerard, Polyptyque de l'abbaye de Saint-Remi de Reims. Paris 1858. n. XVII, 127 p. 57. Die Urkunde ^«t datirt ,,111. idus maias (so Guerard, Marlot hat bloss III. Mail) a. VI.
icnante Karolo .... regente autem Ingmaro .... anno III. " Marlot 1. c. und V. Noorden (S. 41 N. 5) setzen dieselbe i. d. J. 846, wahrscheinlich gestützt auf das angegebene Regierungsjahr Karls , was aber keinen sichern Anhalts- punkt geben kann, da in der westfränkischen Kanzlei verschiedene Anfangs- ^<^rniine im Gebrauche waren. Man vergleiche z. B. Böhmer n. 1592 u. 1593,
03 und 1604. Bouquet VIII, 426 unterscheidet deren vier: Nov. bis Dez. 837 (vgl. Simson II, 171 N. 3), Sept. 838, 30. Mai (richtiger anfangs Juni, vgl. Simson II, 206 ff.) 839, 20. Juni 840. Lognon 1. c. versteht das Datum vom 13. Mai 847, was aber auch nicht angeht, weil Hinkmar erst am 17. Mai 845 T'^weiht wurde oder wenigstens erst die Regierung antrat (vgl. oben N. 60),
id hier ja von „regente Hincmaro" die Rede ist. Das 3. Jahr Hinkmars weist vielmehr auf das J. 848, und anstatt a. VI. dürfte daher a. IX regn. Karolo zu lesen sein. Eine Verwechslung von VI und IX in den Handschriften
t leicht erklärlich.
93) Flod. 3, 21 p. 514.
94) Flod. 2, 19 p. 469.
95) Id. 3, 4 p. 478. Bouquet VIII, 510. Die Urkunde hat das Datum VII. kal. Jun. 850.
96) Lupus ep. 42 u. 44 (Migne 119, col. 509. 511).
Schrörs, Hinkmar von Reims. ^
.^0 Knis.M-H<'lH' Politik LoihiiM.
Lyon über die Stelliiii«^' der Juden •' ') und versuchte von Papst Leo IV. eine Entscheidung über die Anitsbefugnisse der Chorbischöfe zu er- wirken •®). Freilich umf»issende Reformen ins Werk zu setzen, über- stieg die Macht eines einzelnen Bischofs und fand zudem in der unsichern ])olitischen Lage des Reiches vorläufig eine hemmende Schranke. Für den Erzbischof von Reims lag insbesondere jetzt eine weit dringendere Aufgabe vor, nämlich seine eigene Existenz zu retten vor dem dräuenden Unwetter, das sich schon bald nach seinem Amts- antritte über seinem Haupte zusammenzog und seine ganze Stellimg zu erschüttern drohte.
3. Kapitel.
Der Kampf Hiiikmars mit Kaiser Lothar, Ebo und den von diesem geweihten Reimser Geistlichen.
Die Hoffnung Lothars, den grössten und wesentlichen Teil vonii Erbe seines Vaters gemäss der Reichsteilung des J. 817 unter seiner) Herrschaft zu vereinigen und über seine Brüder eine Obergewalt zu behaupten, wai* auf dem blutgetränkten Felde von Fontanetura ver- nichtet worden. Die Gleichstellung der drei Frankenkönige, welche das Schwert begründet, hatte Lothar im Vertrage zu Verdun durch Brief und Siegel anerkennen müssen. War es ihm so misslungen, dem kaiserlichen Namen auch die äussere Macht hinzuzufügen, so entsagte er gleichwohl nicht gänzlich dem Gedanken eines allge- meinen Kaisertunxs. An die Stelle des alten Stichwortes : „ein Kaiser und ein Reich" wollte er nun das andere: „ein Kaiser und eine Kirche" setzen; ^alt ja im Geiste der damaligen Zeit die kirchliche Einheit als Grundlage und Vorbedingung der politischen. Es sollte eine geschlossene Organisation der fränkischen Gesamtkirche mit einer einheitlichen unter kaiserlichem Einflüsse stehenden Spitze ge- schaffen werden. Papst Sergius IL ging auf den Plan ein und er-
97) R. H. n. 10.
98) R. H. n. 37. Vgl. in Betr. des Streites über die Stellung der Chor- bischöfe Weizsäcker, Der Kampf gegen den Chorepiskopat des fränk. Reichs im 9. Jahrh. Tübing. 1859. Wenn die Thatsache, dass auf einer Synode von Paris i. J. 849 mehrere Chorbischöfe abgesetzt wurden, worauf Weizsäcker S. 26 viel Gewicht legt, gesichert wäre, so würde auf den Brief Hinkmars und seine Stellung zu der Frage neues Licht fallen. Allein jene Notiz findet sich nur bei Alberich von Trois-Fontaines (18. Jahrh.), während keine andere Quelle etwas davon weiss.
Abh'liimii^' (It's |iil]>stli('lH'ii Vikiiriatn. •>!
nannte durch ein Schreiben ') an die Bischöfe Germaniens nnd Galliens i. »I. 844 den Oheim des Kaisers, Bischof Drogo von Metz, zum ))a])stlichen Vikar diesseits der Al])en. Ihm sollte das Hecht zu- stehen, im Namen des apostolischen Stuhles allgemeine Synoden zu berufen und Provinciaikoncilien zu bestätigen ; niemand sollte hinfort mit Umgehung des Metzer Bischofs sich unmittelbar an den h. Vater wenden. Welche Macht damit in die Hand des Kaisers, dessen Unter- than der nene Primas war, gelegt wurde, und welche Aussichten sich diesem boten, Verwickelungen und Schwierigkeiten aller Art bei günstiger Gelegenheit in den Nachbarreichen anzuzetteln und dadurch auch in politischen Dingen eine Art Suprematie zu gewinnen, blieb auch den Zeitgenossen nicht verborgen. Karl d. K. und der west- fräukische Episkopat verkannten die ihrer beiderseitigen Selbständig- keit drohende Gefahr keinen Augenblick, und noch in demselben Jahre 844 verhandelte man darüber zu Verneuil. Es wurde hier die Erklärung abgegeben^), dass man die Persönlichkeit des ersehenen Vikars als durchaus geeignet betrachte, „wenn überhaupt etwas iliM'artiges jemand übertragen werden könne, und wenn kein anderer • nund als der vorgeschützte dahinter verborgen sei". Die Anerkennung <ler neuen Würde aber ward von einer Versammlung der gesamten gallischen und deutschen Kirche unter der Zustimmung aller Metro- politen und Bischöfe abhängig gemacht, womit die Sache in ge- -rbickter Form abgelehnt war. Da nun auch der Papst, der offenbar kaum ein eigenes Interesse an dem Vikariate eines fränkischen Bischofs hatte, nichts that, um seinem Befehle Nachdruck zu verleihen, so war ilieser Schachzug der kaiserlichen Politik gescheitert.
Der Misserfolg rief naturgemäss eine Spannung zwischen den ' iden Herrschern hervor, die sich noch steigerte, als i. J. 840 >elbert, ein Vasall Karl d. K. , eine Tochter des Kaisers ent- iirte und vor dem Zorne des tiefge kränkten Vaters Zuflucht und ^' hutz im Westreiche fand •^). Den ersten Schlag gedachte Lothar v.rdeckt gegen den Bruder zu ftihren, indem er seinen Angriff' auf <l•^-sen treuesten Anhänger, den Metropoliten von Keims richtete"*).
1) .Taffe n. 2586 (1964). Man.si XIV. 80G.
2) Cap. 11 (LL. 1, ::i85).
••^1 Rudolfi Annal. a. 846 (SS. I, 864).
4) Opp, II, 800: Sic (d. h. durch Verleumdun«< Hinkuuu-.s boiiu i'upsti'l .... Hlotharius in initio ordinationis meae apud Sergium et postea apud suc- ces.soiem ipsius Leonem pro contentione regni, quam erga fratrem suuin
habebat, cuius ob.sequiis fid eliter inhaerebam, .sategit Tb.
j'. o04 : EiTienso autein anno post Ordinationen! nieam Hlothariu.s iinperatti . . .
4*
52 Hinkmar und Lothar.
Hinkmar mochte den Sturm , der von dieser Seite j^egen ihn vor- bereitet wurde, geiihnt haben, da er schon bald nach seiner Weihe durch verbindliche Schreiben sich der Gunst der Kaiserin Irmingard und des Bischofs Drogo zu versichern suchte ^). Trotzdem gelang es ihm nicht, zu verhindern, dass der Kaiser verUiumderischen Zwischenträgern, die dem Erzbischofe feindlich gesinnt waren, sein Ohr lieh. Vielleicht wurde Hinkmar gerade von jenen Klerikern | verdächtigt"), gegen deren im Einverständnisse mit Lothar gespon-i nene Ränke er mehrere Jahre später einzuschreiten genötigt war.' Dazu kam noch, dass er gerade mit Bertha, der Tochter des Kaisers, im Streite lag, welche als Aebtissin des in der Diözese Reims ge- legenen Klosters Avenay Güter der Reimser Kirche für sich bean- spruchte ').
Es war vergebens, wenn Hinkmar der Gemahlin Lothars brief- lich seine volle Unschuld beteuerte ^) ; denn der eigentliche Grund] des Zerwürfnisses lag tiefer. Das der Westgrenze Lothringens zu- nächst liegende Erzbistum Reims mit einem Vertrauten des west-j fränkischen Königs besetzt zu sehen, musste dem Kaiser unbequei sein, da die Metropolitanrechte desselben durch den Suffragansprengell von Cambrai bis tief in sein eigenes Gebiet hinein ihren Wirkungs-j kreis erstreckten, ja einzelne Teile der Reimser Diözese selbst unter! seiner Herrschaft standen. Wie leicht konnten sich dadurch dem feindlichen Nachbar Anknüpfungspunkte für die geheimen Fäden einer gegen Lothringen gerichteten Politik bieten ! Eine ganz andere Gestalt dagegen nahmen diese Verhältnisse an, wenn auf dem wich- tigen Metropolitanstuhle ein Mann sass, welcher den Ideen einer kaiser- lichen Oberherrschaft Verständnis und Willfährigkeit entgegenbrachte. Dann war Hoffnung vorhanden, die Zwecke, welchen der ungeboren zu Grabe getragene Primat des Metzer Bischofs dienen sollte, wenig- stens in Bezug auf das Westreich doch noch zu erreichen. Eine
causa fratris sui erga me commotus. cf. Flod. 8, 2 p. 475. Nach Hinkmars Versicherung (opp. II, 732) beteiligte sich auch Ludwig d. D. an den Umtrieben gegen ihn.
5) R. H. n. 8 u. 6.
6) Hincm. ep. ad Irmingard. R. H. n. 12. — Die Vermutung, dass Ebo (und der Kaiser) in der Diözese Hinkmars Bundesgenossen hatte, stütze ich darauf, dass die Synode von Paris (846) bestimmte, „ut (Ebo) non liaberet dein- ceps licentiam ex ea (dioecesi) quempiam sollicitare, nee scripto nee verbo nee misso aliquo" (Flod. 8, 2 p. 476). und dass später jene Geistlichen in Verbin- dung mit dem Kaiser stehen.
7) Hincm. ep. ad Berth. R. H. n. 11.
8) R. H. n. 12.
Intri^uen Lothare.
IN'i*sönlichkeit, die ihrer «j^anzen Vergangenheit nach dazu wie ge- haffen erschien, lebte noch in Ebo, dem Bisehofe von Hildesheim. Hatte der Kaiser auch diesen früheren Günstling vor nicht langer Zeit fallen gelassen, so richteten sich doch jetzt wieder seine Blicke auf ihn ; und in diesem Punkte begegneten sich seine Ziele und \Vünsche mit denen des ehemaligen Erzbischofs, der seine Ansprüche keineswegs aufgegeben hatte. Gelang es die Frage wieder an- zuregen, ob Ebo gültig abgesetzt und Hinkraar gültig gewählt und ueweiht sei, so war damit die verwundbarste Seite an der Stellung des letzteren getroffen.
Lothar berichtete dem Papste, dass man im Schosse der Reimser Kirche selbst uneinig sei über die Gültigkeit der Ordination Hinkmars ^), was auch vielleicht einen thatsächlichen Anhaltspunkt in den Um- trieben der erwähnten Kleriker hatte. Sergius befahl in zwei Briefen an König Karl und den Erzbischof Guntbold von Ronen, dass dieser mit andern westfränkischen Bischöfen, die er hierzu auswählen sollte, sich nach Ostern 84(5 nach Trier begebe; dorthin wolle er seine Legaten schicken, damit gemeinsam die Sache entschieden würde. Auch Hinkmar wurde durch ein päpstliches Schreiben aufgefordert, sich daselbst einzufinden^"). Alles wurde pünktlich ausgeführt; nur die römischen Gesandten erschienen nicht. Warum, ist zwar nicht aufgehellt; doch dürfte die Annahme kaum fehl gehen, dass der Papst, der durchschaut haben mochte, wie die ganze Angelegenheit nur zu politischen Zwecken angeregt worden, keine Eile hatte, den kaiserlichen Plänen zu dienen ^ ^). Hinkmar benutzte mit grosser Geschicklichkeit den nicht unerwünschten Umstand, dass die päpst- lichen Boten ausblieben, um die gefährliche Frage den Verhand- lungen einer auf lothringischem Boden und unter dem Einflüsse des Kaisers tagenden Versammlung zu entziehen. Ehe Lothar Zeit fand /u einem neuen diplomatischen Schachzuge, war die Sache schon durch westfränkische Bischöfe zu Hinkmars Gunsten entschieden.
■0 Opp. II, 304. — Nach Hinkmars Behauptung (ib. p. 732) wäre Ludwig D. im Einverständnisse mit Lothar f^ewesen, um ihn durch Erneuerung der l»o'schen Ansprüche einen ,,Fallstrick zu legen".
10) Ib. — Jaffe n. 2589 (1965). 2590 (1966). 2591 (1967). - Die Trierer Xnsammenkunft war nicht auf „Sonntag nach Ostern, den 2'>. April* anbe-
lumt, wie v. Noorden S. 43 behauptet.
11) Lothar selbst scheint einen derartigen Gedanken anzudeuten, wenn i in einem Briefe an Leo (Mansi XIV, 884) bemerkt: Cur tarnen praefatus
decessor vester legatos a nobis petitos non miserit, vestram Reverentiam ne- quaquam credimus ignorare. Hefele IV, 121 N. 2 begründet das Fehlen der Gesandten mit der Belagerung Roms durch die Sarazenen.
54 Zunickwt'i-jnjiir <l«'r Ebo'scheii Aiisprüchr.
Im ?]inverstiln(liiisse mit K;irl d. K., dem ja der beal).sichtigte Schlag in letzter Linie gelten sollte, versanmielte sich noch in demselben Jahre ein Koncil zu Paris, das Ebo für die Zukunft das Betreten des Reimser Sprengeis und jede Verbindung mit Angel'' ' - '^"^ selben untersagte, bis er sich gestellt und endgültiges Urte"'^ Bedenken, hätte '^). Damit war der Bischof von Hildesheim mi ^^^ «olchen Sprüchen thatsächlich abgewiesen, und seines Gegner? anerkannt. In diesem Sinne lasste auch der Kaiser ^^ Einleitung auf'^). Hinkmar nahm ausdrücklich die päpstliche Auktorität für die getroffene Entscheidung in Anspruch ^^), wohl darum, weil er die Pariser Synode als Ersatz der vom römischen Stuhle berufenen Trierer betrachten zu können glaubte.
Ebo hat auch später noch Versuche gemacht, sich die Wege] zur Rückkehr nach Reims zu ebenen ^^), aber Genaueres ist darüber nicht bekannt und jedenfalls blieb sein Bemühen fruchtlos. Dei Schwergeprüfte musste bitterer als irgend .einer seiner ehemaligen] Mitschuldigen die Wandlungen des Geschickes erfahren. Lothar, inj dessen Dienste er doch Amt und Würde verloren, hatte ihm i. J. 84- die Abteien und Besitzungen, die er ihm geschenkt, ungnädig wiedei entzogen, und jetzt stiess er ihn zum zweitenmale als untauglich ge- wordenes Werkzeug von sich. Dem begabten Manne, der in der
12) Flod. 3, 2 p. 476. S. über die Zeitbestimmung dieser Synode und ihre Nichtidentität mit jener, welche eine Fortsetzung der von Meaux war, Hefele IV, 122 f.
13) Er nennt (l. c. p. 885) die Akten der Synode „synodalia gesta super confirmatione sui (i. e. Hincmari) et restauratione Rem, ecclesiae."
14) Opp. II, 304 sq. Hefele IV, 122 will hieraus schliessen, dass der Papst Trier nicht als Ort der Synode, sondern nur des Zusammentreffens mit den Legaten bestimmt habe ; aber Hinkmar 1. c. scheint mir doch deutlich das Gegenteil zu sagen: Ut Guntboldum . . . obviam missis eins Treviris ad hanc causam discutiendam et me ad ipsam synodum venire faceret .... ad praedictum locum cum episcopis h a n c c a u s a m d i ff i n i t u r u s adiret. cf. Flod. 3, 2 p. 475 sq.
15) Leo IV. bemerkt in dem Schreiben an die Bischöfe Galliens (Jaife n. 2618. Die Papstbriefe d. britt. Samml. n. 37. Neues Archiv 5. Bd. S. 390 f.), dass Ebo seit Hinkmars Erhebung „pro illicita subsecratione ipsius sedis ter sedem apo- stolicam interpellaveraf. Hierzu stimmt Narr, cleric. Rem., deren Angaben in diesem Punkte nicht mit v. Noorden (Beilage S. IX) für schlechthin unwahr erklärt werden dürfen, (Bouquet VII, 280 B): (Ebo) adeptus est pro tempore .... Hiltinesheim , adspirans semper ad propriam sedem. Quam siquidem a domno Karolo rege, licet valida pedum infirmitate gravaretur, repe- tisse multorum testimonio comprobatur. Unde necessitate compulsus ad prae- dietam sedem Hiltinesheim revertens etc. Dass Ebo nach der Pariser Synode noch eine Reise nach Westfranken machte, wird bestätigt durch R. H. n. 38.
h
Lothars Freuml«chaft. 55
Iiitfeiul die glänzendsten Aussichten vor sich gehabt und eine grosse Laufbahn betreten hatte, war im Alter die traurige Rolle eines un- glücklichen Prätendenten beschieden. Alt und gebrochen endigte er am '^0 M" "n ■ chselvoUes Leben zu Hildesheim ^^).
.inli( und glückliche Erledigung der Ebo'-
' heit, von der man eher eine umibsehbare Reihe von '^ättp erwprfen sollen, übte auf den Kaiser eine fast " .vung aus: der Feind verwandelte sich mit einem Maie 111 einen warmen Freund des Erzbischofs. Es mag sein, dass Lothar, in dessen Charakter bilde die Züge brennenden Ehrgeizes und schwächlicher Nachgiebigkeit abwechseln, jenes Gefühl von Achtung und Scheu vor seinem Gegner empfand, das geistige üeberlegenheit dem Besiegten manchmal abnötigt. Allein das plötzlich erwachte Wohlwollen für Hinkmar hatte doch einen andern Grund, den erst die Zukunft enthüllen sollte. Vorderhand suchte er nähere Bezieh- ungen zu dem Metropolite.i anzuknüpfen und sich ihm gefällig zu erweisen, wozu sich auf '^ im allgemeinen Franken tage zu Meersen (Febr. 847), als er ' /. --^.x mit seinem Bruder Karl aussöhnte, die «•'"^^ ^" Es dürfte nämlich an diesem Zeitpunkte
gv * Kirche durch eine kaiserliche Urkunde
wieder ik „ . von Gütern gesetzt wurde, die unter der Re-
gierung Karl d. verloren gegangen waren *^). Bald nachher aber liess sich Lothar zu '^' f. abritte herbei, der ein klares Zeugnis
von seiner gänzlic vd idert n ' esinnung ablegt. Er bat den kürz- lich geweihten (i 4p»*il 847) Papst Leo IV. um das Pallium für Hinkmar durch i für dip höchst schmeichelhaft gehaltenes
Schreiben^ ^), di. r 'weck hatte, dem Erzbischofe, der
jene Auszeichm * Tiberstadt in Empfang zu nehmen
wünschte'^), ei'^ nde Aufnahme zu sichern. Da auch
lOj Hartzhf rm. il, 211. Hincm. opp. II, öl 8. Flod. 8, 2
1.. 476. Mansi X • • 17) Flod. 'l
18j Mansi ' , ........ Aod. 1. c. (1. Brief) erwähnt, vgl. ib. 3, 2
M. 476. Dümmler setzt das Schreiben nach der Synode von Soissons 853; aber PS weist selbst auf den Anfang der Regierung Leos hin und bemerkt von den
Akten der Pariser Synode (846) : Cum gesta Synodalia quae etiam et
antecessori vestro mitti debuerunt, destinanda vobis . . . decrevimus. cf. Hincm. opp. II, 273 : Sergio antequam mittere ad illum concurrerem, in brevi defuncto, Leoni papae sunt missa. Zudem wird das Koncil von Soissons, das doch in so engem Zusammenhange mif dem Inhalte des Briefes gestanden hätte, nicht erwähnt.
19) Vgl. R. H. n. 14.
'*)() Hinkiuars Hcniüliunn^on um die Aussöhnun*^ Karls mit Lothar.
ein mit dt^n üntorschriften fast sämtlicher Bisrhrife der belgischen, gallischen, iitMistrisc lieii imd aquitanischen Proviu/tn versehener Bericht über die Pariser Synode und die Ordination Hinkmars, dem dieser sein Glaubensbekenntnis beifügte^^^), mid oi» Brief Kn ' d. K. über dieselbe Angelegenheit in Rom eintnilVi! ' ..ag Leo i. das Verlangte zu gewähren und dadurch den Metropolit* anzuerkennen-^).
Hiermit hatte indess die lothringische Politik nur zu einer weit bedeutungsvolleren Aktion getroffen. Die Ausiuhrung derselben musste jedoch mit Rücksicht auf die politische Lage noch verschoben werden. Bei der erwähnten Zusammenkunft von Meersen nämlich war zwar eine Aussöhnung zwischen den Königen von West- franken und Lothringen zu stände gekommen, keineswegs aber die gegenseitige Verstimmung gewichen, da die Angelegenheit Giselberts noch keine befriedigende Lösung gefunden hatte. Dieser begab sich i. J. 848 zu Ludwig d. D., der sich nun die Vermittlung zwischen seinen Brüdern angelegen sein liess und Gesandte an Lothar ab- ordnete'^^). Von der andern Seite bot 111. -^ seinen Einfluss bei Karl d. K. auf, um einen aufrichtigen Frir " -^"^y(^r^. Er
unternahm eine Gesandtschaftsreise an ' arin-
gischen Hof und suchte auch brieflich seinen K^ ..n Ausgleiche
geneigt zu machen ^^). Die Frucht dieser Bemünungen war die Be- gegnung der beiden Brüder zu Peronn* ^r-nar 849), wo ein voll- kommenes Einvernehmen erzielt wurde.
Lothar konnte nunmehr wieder ungestört in die Bahn seiner Kaiserpolitik einlenken, und diese lief o^egenwär+ig auf nichts Gerin- geres hinaus , als den Erzbischof vc der Würde eines päpstlichen Vikars zu bekleiden. Es lij Gedanke wie früher,^
20) Flod. 3, 2 p. 476. Ob das von ..^t (lat. Ausg.) I, 388 heraus gegebene Glaubensbekenntnis (bei Migne 125 dasjenige ist, von dem Flod. 1. c. redet, wie der Herausgeber (1. <■■ " oorden S. 44 annehmen, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber keine. ..ns iso ,.! eigens für diesen Zweck abgefasst worden. Es hat vielmehr, wie die Anfangsworte zeigen (Ego Hincm. huius sedis ordinandus archiep. et sacro ministerio vestro, sancti Patres, praedi- cationis officium suscepturus), bei der Ordination H's. gedient und als solches Eingang in die Formelsammlungen gefunden (Roziere, Recueil ge'ne'ral des for- males. Paris 1859. n. DXXIV). Die Zweifel v. Noordens (a. a. 0.) und Hellers (SS. XIII, 475 n. 5) an der Echtheit sind ganz unbegründet.
21) Opp. n, 273. 824. Flod. 1. c.
22) Flod. 1. c.
23) Rodulfi Annales. a. 848 (SS. I, 365).
24) R. H. n. 35. 36.
Versut'li des Kaisers, ein pilj)stliches Vikariat für Hinkinar zu erlangen. •>«
nur die Person, in welcher er zur Ausführung konnnen sollte, hatte gewechselt: die Anerkennung, die Drogo sich nicht zu verschaffen vermocht, hoffte der Kaiser durch Hinkmars Thatkraft und Gewandt- heit erreicht zu sehen. Dass Karl d. K. keine Schwierigkeiten be- reiten werde, glaubte er jetzt nach eben erneuerter Freundschaft er- warten zu dürfen, und vielleicht war jenes Vorhaben gerade die Ver- anlassung, mit demselben Frieden zu schliessen. So stellte er denn i. J. 849 oder 850 — der Zeitpunkt lässt sich nicht genauer be- stimmen — an den apostolischen Stuhl das Ansinnen , den Reimser Metropoliten mit der Stellvertretung des Papstes zu betrauen und ihm zum äusseren Abzeichen seiner Vollmacht und seines Vorranges vor allen Amtsgenossen das sonst dem heiligen Vater allein zukom- mende Recht zu verleihen, täglich das Pallium zu tragen ■'^^). Es kann wohl nicht bezweifelt werden . dass Hinkmar um die Absicht des Kaisers wusste und mit derselben einverstanden war; ja wahrschein- lich stand sein früheres Vorhaben , eine Reise über die Alpen zu unternehmen, die er jedoch nie angetreten hat, damit im Zusammen- hange. In ihm war stets der Gedanke lebendig, dass die fränkischen Kirchen unter einander in einem engern Verbände stehen müssten, und es konnte ihm darum eine einheitliche Organisation derselben an sich nicht unwillkommen sein. Dazu kam noch für Hinkmar der besondere Grund, dass durch Uebertragung eines solchen Primates die alten Rechte seines Metropolitansitzes, dessen vollkommene Unab- hängigkeit innerhalb der gallischen Kirche und weitgehende Gewalt über die Suffragane — Dinge, die ihm ein Gegenstand ständiger Besorgnis waren ''^^) — neu gefestigt wurden. Mit der Gewalt eines römischen Vikariates ausgerüstet hatte er zudem die gegründete Aus- sicht, seine kirchlichen Reformpläne im grössten Massstabe durchführen zu können. Auf solche Erwägungen gestützt konnte der Erzbischof das kaiserliche iVnerbieten kaum von der Hand weisen, nicht aber ist anzunehmen, dass er damit auch die unlautern politischen Ab- sichten des Lothringers zu fördern gedachte; dafür bürgt das Ver- hältnis erprobter Treue, in welchem er zu seinem Könige stand, der sonst auch schwerlich jene Pläne ruhig hätte heranreifen lassen.
25) Brief Leos IV. an Lothar {Jaft'6 n. 2607. Die Papstbriefe d. britt. Samm- lung. Neues Archiv Bd. 5, n. 12 S. 381 f.): Direxistis nobis htteras vestras, quibus
continebatur, ut Hincmaro cotidianum sacri pallii usum et auctoritatem pote-
statemque precipuam vice nostra et alios archiepiscopos vel episcopos sive ab- bates ipsius regionis per sacras canonum sanctiones iudicandi dedissemug licentiam.
26) S. unten.
58 Exkommunikation Fulkric lis.
Indess der ganze Versuch scheiterte an der Weigerung des Papstes. Leo erklärte ^^), die verlangten Vollmachten nicht erteilen zu können, da sein Vorgänger das Vikariat bereits an Drogo vergeben habe. Um sich aber doch dem Kaiser gefällig zu erzeigen, verlieh er Hinkmar das tägliche Pallium'*^) mit der Versicherung, dass er noch keinen Erzbischof mit einer solchen Ehre ausgezeichnet habe und auch in Zukunft nicht auszeichnen werde.
So hatte nur Hinkmar einen Vorteil davongetragen, der aber für Lothar von keinem Werte war. Das Interesse, das dieser seit einigen Jahren an dem Metropoliten genommen, erkaltete denn auch bald und machte seiner unbeständigen Sinnesart entsprechend sogar wieder offener Feindschaft Platz, als eine geringfügige Angelegenheit dazu Veranlassung bot.
Hinkmar hatte schon früher sich genötigt gesehen, einen Vasall des Kaisers namens Fidkrich. der seiner Diözese angehört haben muss, eines ehelichen Skandales wegen mit dem Kirchenbanne zu belegen^ ^). Nach seiner Autfassung hatte derselbe die ihm rechtmässig angetraute Frau entlassen ^^), nach einer andern Darstellung aber, die wir später von päpstlicher Seite erhalten und die sich auf die Angaben Fulk- richs stützte, hätte dieser sich nur von seiner bisherigen Konkubine getrennt, welche den Schleier zu nehmen gedachte^ ^). Fulkrich floh in den Trierer Sprengel, wo er sich längere Zeit aufgehalten zu haben scheint, da der Erzbischof seinethalben nicht nur an Hetti von Trier, sondern noch zweimal an dessen Nachfolger Thietgaud schrieb ^^). Der kaiserliche Vassall achtete der Censur so wenig, dass er zu einer neuen Verbindung mit der Tochter eines gewissen Milo schritt^ ^), wozu er sogar die Zustimmung einiger Pfarrer zu erlangen wusste.
27) Briefe an Lothar und Hinkmar (Jatfe n. 2607. 2608. Neues Archiv a. a. 0. n. 12 u. 18, S. 381 f.), vgl. Flod. 8, 10 p. 482. Der Herausgeber Ewald setzt sie (a. a. 0. S. 395 f.) in den Anfang 851, vielleicht etwas zu spät.
28) Weizsäcker (Niedner, Zeitschr. f. d. histor. Theol. 1858 S. 405) und Dummler I, 366 verlegen die Erteilung des täglichen Palliums in die Zeit nach der Synode von Soissons. v. Noorden S. 129 f. bemerkt mit Recht dagegen, dass H. damals im Kampfe mit Leo lag, geht aber zu weit, wenn er dieselbe zugleich mit der Verleihung des gewöhnlichen Palliums erfolgt sein lässt und bis in d. J. 847 zurückverlegt. Hiergegen spricht, wie Ewald a. a. 0. N. 1 richtig hervorhebt, die Stelle in dem Briefe an H. : Pallium . . . iam vobi« misisse recolimus.
29) R. H. n. 15.
30) R. H. n. 28.
31) Neues Archiv a. a. 0. n. 22 a. S. 385.
32) R. H. nn. 15. 44.
33) R. H. nn. 29. 53.
Lothar b.'sc-hntzt Fulkrie-li. 59
I liiikiiiar lud den \V i(l('r.s|)iLiisi,i<j;tMi vor die Synode \on iluivsAy (H4:^) und beauftraj^te seinen Cliorbiscliol' Kikbold und seinen Arehipresbyter Kodoald, auch den Milo mit seiner Tochter nebst den beteiligten Priestern vorzuführen^*). Ob Fulkrich erschien, ist ungewiss; doch erfahren wir, djiss er sich später der Sentenz des Metropoliten beugte' und Busse zu leisten versprach, worauf er vom Banne gelöst wurde^^). Dass der Vassall sich unterwarf, war vielleicht dem Umstände zu danken, dass er an seinem Lehensherrn, der bisher noch im besten Einverständnisse mit Hinkmar lebte, keinen Rückhalt fand. Als Fulk- rich aber, der nur Busse geheuchelt hatte , bald das ehebrecherische Verhältnis erneuerte, fand er beim Kaiser Schutz gegen den erz- l)ischöflichen BannstrahP*^). Hinkmar versuchte, sich in zwei Briefen bei Lothar zu rechtfertigen*'*^), .und bot seinen Einfluss auf, dass in den Freundschaftsvertrag der drei Könige zu Meersen (Frühjahr 851) die Bestimmung aufgenommen wurde, Ehebrecher und Gebannte dürften nicht in fremden Reichen Zuflucht linden, müssten vielmehr dem be- treffenden Bischöfe ausgeliefert werden ^^). Allein der Kaiser achtete weder des einen noch des andern , sondern sandte Fulkrich mit Schreiben von sich und Ludwig d. D., der sich auch für die Sache interessirte^^), nach Rom, dort Klage zu führen. Leo riet dem Erz- bischofe zur Milde und drohte andernfalls gegen ihn strafend einzu- schreiten*'*). Welches die Antwort*^) Hinkmars war, ist nicht be- kannt: von Nachgiebigkeit ^vird sie jedoch weit entfernt gewesen sein. Der Konflikt verschärfte sich und nahm einen noch bedroh- licheren Charakter an, als die Partei Ebos, die noch immer Anhänger in Reims zählte, sich von neuem mit dem Kaiser verband. Es wurde von dieser Seite gesorgt, dass dem Papste die Vergangenheit des Me- tropoliten und die Art, wie er seinen Sitz erlangt, in den düstersten Farben erschien. Die Drohung Hinkmars, über Lothar wegen seines
84) R. H. nn. 28. 29.
35) R. H. n. 61.
36) R. H. nn. 52. 61.
37) R. H. nn. 50. 51.
38) Cap. 5 (LL. I, 408). Vgl. Dümmler 1, :i;iO.
39) R. H. n. 52.
40) Jatte n. 2614. Neues Archiv I.e. n. 22 S.o85ff. Vielleicht ist dieser einer der Briefe, welche Fulkrich überbrachte, vgl. Hincm. ep. ad Wulfing. (R. H. n. 62): Qui (Fulcric.) Roma veniens iactabat epistolas papae pro absolutione sua tarn regibus quam huic archiepiscopo deferre. In diesem Falle würde der Brief nicht mit Ewald (a. a. 0. S. 395 f.) 851, sondern 852—858 anzusetzen sfin.
41) Flod. 3, 10 p. 483: Scribit (an Leo) de quodam Fulcrico
de quo etiam pridem ei siLrnificaverat (R. H. n. 53).
60 Päpstliche Drohunpren.
fortgesetzten Verkelires mit Fnlkrich die Exkonimiinikatioii zu ver- hängen, rief ein ilusserst scharfes Schreiben von lloin hervor*^). Der Erzbischof wird darin „der Vater des Hochmutes und der Erstge- borene der Anmassung" genannt, der seine Geh'ibde verlassend nicht wie ein Hirt in den Schafstall gekommen sei, indem er es gewagt, bei Lebzeiten seines Vorgängers dessen Stuhl zu besteigen. Mit herben Worten wird ihm untersagt, den von Papstes Händen gesalbten Kaiser je, heimlieh oder öffentlich, zu bannen.
Der Feindseligkeit solcher Sprache kam indess der Trotz des gallischen Prälaten gleich. Er schleuderte den Kirchenbann auf Lothar und Karl und ihre Familien, w^oraus erhellt, dass sein eigener Fürst Partei wider ihn ergriffen hatte, der sich jedoch bald wieder mit ihm ausgesöhnt haben muss*^). Die Rache blieb nicht aus: die Reimser Kirche musste an den im lothringischen Reiche gelegenen Gütern die That ihres Oberhauptes entgelten'*^), und ein päpstliches Rundschreiben that dem westfränkischen Episkopate das neue Doppel- verbrechen kund, das an der geheiligten Person zweier Könige und an der obersten Auktorität des apostolischen Stuhles begangen wor- den^ ^). Es drängt sich hier die Frage auf, welche Gründe es ge- wesen , die Hinkmar wegen einer unscheinbaren Sache zu dem Aeussersten trieben und ihn nicht zurückhielten, die schwersten Gefahren heraufzubeschwören, einem Bunde solcher Mächte die Stirne zu bieten. Zunächst war es sein unbeugsamer, durch eine eiserne Willenskraft gehaltener Eifer für das Recht und namentlich in Dingen, welche die Heiligkeit der Ehe betrafen: der Grundsatz, mit rücksichtsloser Kraft jede Verletzung ehelicher Ordnung zu be- kämpfen. Sodann bewog ihn die Notwendigkeit, den geheimen Um- trieben gewisser Kleriker in Reims, die wie jetzt dem Kaiser, so jedem seiner Feinde stets willkommene Bundesgenossen waren, ein für alle Mal ein Ziel zu setzen. Gegen diese kehrte er nunmehr seine Waffen zu einem vernichtenden Kampfe.
42) Leos Brief an Lothar (Jaffe n. 2619. Neues Archiv n. 38 p. 391). Nach Ewald ib. fiele seine Abfassung c. 852. wohl besser 852—853 (aber noch vor April dieses Jahres). Der erste Teil des Fragmentes scheint die Exkommunikation Lothars schon als geschehen zu bezeichnen, wie auch Ewald annimmt; aber im 2. Teile wird dieselbe ja erst verboten ! Jene Stelle ist vielleicht nicht auf Hinkmar und Lothar, sondern auf Ebo und Ludwig d. F. zu beziehen.
43) Zur Zeit der Synode von Soissons (April 853) stehen beide wieder im besten Einverständnisse.
44) R. H. nn. 53. 55. 62.
45) JafF^ n. 2618. Neues Archiv n. 37 S. 390 f. Dieser Brief fällt etwas später als n. 38 (s. oben N. 42). Umgekehrt ordnet Ewald diese Briefe.
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Dit' noimscr Kleriker. 61
Ks haiidelk' sii-li um jene Geistliclieii , welche Ebo nach seiner Restitution geweiht hatte, und welche nach seiner a})ermaligen Ver- treibung unangefochten im Besitze ihrer Aemter und Würden ge- blieben waren. Auf der Synode von Meaux, berichtet Hinkmar, sei er auf dieselben aufmerksam gemacht und beauftragt worden, ihnen die Ausübung des geistlichen Amtes zu untersagen, bis die Gültigkeit ihrer Weihe genauer geprüft worden^**). Die Untersuchung Hess aber aus welchem Grunde immer auf sich warten, und infolge dessen befanden sich die Suspendirten in einem Zustande peinlicher Unge- wissheit und jahrelanger ünthätigkeit — eine Lage, welche sie den Gegnern des Erzbischofs vollends in die Arme treiben musste. Hink- mar spricht von einer „Verfolgung", die er von ihnen zu erdulden gehabt*') und der er jetzt, da ein grosses Koncil zu Soissons (22. April 853) zusammentrat, ein Ende zu machen beschloss. Nach seiner An- o'abe hätten die Kleriker selbst verlangt, auf dieser Synode ihre Sache zu führen, und hätte er sie mit Geld für die Reise unterstützt*^). Es ist jedoch schwer zu glauben, dass dieselben sich einer unter dem Einflüsse des Erzbischofs und des mit ihm wieder eng verbundenen Königs stehenden westfränkischen Versammlung in demselben Augen- l)licke freiwillig gestellt haben, als ihre Sache durch die mächtige Hand des Kaisers in Rom betrieben wurde.
Die in Gegenwart Karl d. K. im Medarduskloster tagende Synode*^) bestand aus 26 Bischöfen, dem Chorbischofe Rikbold von Heims, zahlreichen Aebten und anderen Geistlichen. Den Vorsitz führten die drei Metropoliten von Reims, Sens und Tours. Am 2(3. April schritt man zur Verhandlung über die Reimser Geistlichen welche acht Sitzungen in Anspruch nahm^^). Sie wurde eröffnet durch die Mitteilung des Archidiakon Sigloard von Reims, dass vor dem Saale Geistliche harrten, welche vor die Synode geführt zu werden wünschten. Da Hmkmar die Nennung ihrer Namen verlangte, wurden ihrer dreizehn genannt, ein Kanoniker Wulfad mit drei Ge- nossen und neun Mönche. Auf Befehl des Königs und der Bischöfe in die Versammlung eingeführt und von ihrem Erzbischofe nach dem
46) Opp. II, :^06. 47j Ib.
48) Opp. II, 318.
49) Mansi XIV, 977 sqq. Mon. Germ. LL. I, 416.
r)0) Mansi 1. c. 982 sqq. gibt nicht die vollständigen Akten, sondern nur einen Auszug. Ein noch kürzerer bei Flod. 3, 11 und chronic. Camerac. (ap. Mansi 1. c. 994). Ueber Einzelnes berichtet aucü Hincni. de praedest. ( . ^'0* topp. I, 322 sqq).
ß2 Verhandlung vor tlfr Soissoner Synode.
Begehren befra^ift, erklären sie, nur um Barmherzigkeit bitten zu wollen. Hinkmar ist aber dainit nicht zufrieden; er dringt auf eine r ec li 1 1 i i h e Entscheidung, weil sonst die Hauptfrage, ob die Kleriker gültig geweilit, und in weiterer Konsequenz ob Ebos Restitution recht- mässig und also Hinkmars Ordination illegitim gewesen, vertagt und damit die Quelle der Anfeindungen nicht verschlossen worden wäre. Denmach besteht er entsprechend den Bestimmungen des kanonischen Rechtes auf eine schriftlich einzureichende und gegen seine eigene Person gerichtete Anklage. Dies geschieht auch mit Beobachtung aller Formalitäten, so dass die fehlende Unterschrift Wulfads, der krank in einem Kloster von Soissons liegt, noch nachträglich einge- holt wird. Hinkmar wählt nun zu seinen Richtern die Bischöfe Wenilo von Sens, Amalrich von Tours und Pardulus von Laon, letz- teren als Vertreter der Metropole Reims und Vorsitzenden des Ge- richtes. Die Kleriker, Wulfad nicht ausgeschlossen, sind mit dieser Wahl einverstanden und fügen nur den Bischof Prudentius von Troyes hinzu, der aus Anlass der Prädestinationsstreitigkeiten eine feindselige Stelhmg zu Hinkmar einnahm ^^).
In der zweiten Sitzung stellen die richtenden Bischöfe die Vor- fragen, ob Ebo ungültig abgesetzt oder wenigstens rechtmässig resti- tuirt worden sei. Beide werden, nachdem Theoderich von Cambrai schriftlichen Bericht über jene Vorgänge erstattet hat, verneint unter Hinweis darauf, dass Papst Sergius das Urteil von Diedenhofen be- stätigt habe. Daran schliessen sich in den zwei folgenden Sitzungen ein Referat Rothads von Soissons und die Vorlage der nötigen Akten- stücke über die Wahl und Weihe Hinkmars, an welcher man nichts zu beanstanden findet, zumal weil derselbe vom Papste das Pallium und die Bestätigung seiner Metropolitanrechte erhalten hat. Die fünfte Sitzung endlich bringt die Entscheidung, welche auf Nichtig- keitserklärung der von Ebo seit seiner Absetzung erteilten Weihen und auf absolute Amtsentsetzung der betreffenden Geistlichen lautet^-).
51) S. unten Kap. 6.
52) Wenn die Synode jede von Ebo nach seiner Deposition vorgenommene ; Weihe für ^irritum et vacuum" (986 E.) erklärt, so ist dies im Sinne des altern Sprachgebrauches zu verstehen, nach welchem jene und ähnliche Ausdrücke zunächst und in der Regel nur das Unkanonische, nicht zu Recht Bestehende, keine rechtliche Folge namentlich nicht in BetrefiF der Ausübung nach sich Ziehende, nicht aber die Nullität des sakramentalen Charakters bezeichnen. Vgl. Hergenröther, Die Reordinationen der alten Kirche (Oesterr. Vierteljahres- schrift f. kath. Theol. Bd. 1. Wien 1862, besonders S. 212 f.). Dass auch hier der Verurteilung der Kleriker nur die genannte Bedeutung beizulegen ist, geht daraus hervor, dass dieselb(^n später wieder zu kirchlichen Aemtern zugelassen
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Vorurteil 11 11^' dor KlfM-ikor. 63
Nun legen diese durch linaw (jlt'iio.Nscü l-nMlchtM t »*iiir Vüihfidigungs- sclirift vor, des Inhaltes, dass sie nur deshalb sidi von Ebo hätten unbe- denklich die Hände auflegen lassen, weil sie Augenzeugen gewesen, wie die Bischöfe Kothad, Siiuoon und Erpuin mit einem Kestitutions- dekret in die Kathedrale gekommen seien und den Erzbischof wieder eingesetzt hätten. Sie zeigen hierüber eine von Rothad, Theoderich, Immo (v. No^^on) und andern ausgestellte (Irkunde •''^) vor, die aber von der Synode für ebenso falsch erklärt wird wie die fernere An- gabe Fredeberts, einige SutiVagane hätten damals von Ebo Ring und Stab in Empfang genommen. Obendrein trifft jetzt die Verurteilten wegen falscher Anklagen gegen Bischöfe noch die Exkommunikation, von der sie aber am Schlüsse des Koncils auf Bitten des Königs, und da sie selbst um Verzeihung baten, wieder losgesprochen wurden. Die Synode, in welcher von der sechsten Sitzung an Hinkmar unter all- seitiger Zustimmung wieder den Vorsitz übernahm, erledigte noch einige Angelegenheiten, die mit der Ebo'schen Sache in Verbindung standen, und fasste das Ergebnis der ganzen Untersuchung kurz in dem ersten ihrer Kanones zusammen ^'^).
Dies ist der Hergang, wie er aus den offiziellen Protokollen i'sichtlich ist. Eine schneidige Kritik desselben ist uns aus der Feder keines Geringern erhalten als des Papstes Nikolaus I. '*''), dem die von Hinkmar übersandten Akten vorlagen. P]r behauptet, die Heimser Geistlichen seien nicht freiwillig, sondern gezwungen nach Soissons gekommen, und tadelt es, dass Wal fad als anwesend ver- lesen worden, obschon er gar nicht zugegen gewesen sei, wie auch die Angabe falsch sei, derselbe habe sich der Klage der übrigen Lyogen Hinkmar angeschlossen, lieber einen Kranken dürfe über- haupt und schon nach dem weltlichen Rechte kein Gericht gehalten werden. Ferner bevor die bestimmte Anzahl der Bischöfe versammelt gewesen, seien die Angeklagten verurteilt und abgesetzt worden, ja vor der Untersuchung sei das Verdammungsurteil schon fertig gewesen. Hinkmar habe chamäleonartig sich bald als Partei bald als Richter aufgespielt, bald den Vorsitz geführt bald nicht. Trotzdem die Drei-
urdon, ohne dass wir von einer Reordination derselben etwas hören. V<:\.
nich Hincm, ep. ad Lantard. (Flod. 3, 28 p. 5.52): Pandens rationem. . . . .
'|uare scilicet ipse ordinatos ab Ebone post suam depositionem a «^radibus ac-
•I»tis renioverit, et qaaliter postmoduni s e n t e n t i a m s u a m t e ni p e r a v e r i t.
h^) Es ist das von Ebo in seinem Apolo<?eticum ven'itfontlichte Akten-
iek, s. oben Kap. 2. N. 31.
54) V^l. Prudent. Annal. a. 853 (SS. I, 447 sq.).
55) Ep. ad episcop. synod. Suess. (Jaffö n. 2822 (2133). Mansi XV, 738).
64 Kritik des Urteils.
zehn nicht hIs K lüge r hätten auftreten wollen , seien sie genötigt worden, eine Klageschrift einzureichen. Es hafte den Klerikern keine Schuld an, da sie nur aus Gehorsam von Ebo sich hätten weihen lassen. Sie, die doch um Barmherzigkeit gebeten, hätten nicht einmal ein gerechtes Gericht erlangen können. Der Papst bezeichnet daher mit einer bibhschen Anspielung die Synode als „conventicula san- guinum"^^), die geglaubt, nicht bestehen zu können, ohne ihre eigenen Kinder vernichtet zu haben.
Um sich über den Wert der Rede und Gegenrede ein objek- tives Urteil zu bilden, ist vor allem zu beachten, dass Nikolaus sich einerseits ausdrücklich auf die authentischen Akten stützt, die wahr- scheinlich ausführlicher waren als die uns vorliegenden ^^), dass aber ^ auch andrerseits eine wenig Glaubwürdigkeit verdienende Appellations-B Schrift-'^) der Kleriker sich in Rom befand, von welcher der Papst zwar nicht spricht, die er aber gekannt haben wird, Indess einigej der hauptsächlichsten in der Kritik hervorgehobenen Punkte müssei auch aus dem uns erhaltenen Akten auszuge als richtig anerkannt] werden. Unter diesen erregt in formeller Beziehung besonders die Thatsache Bedenken, dass die Kleriker um Aufhebung ihrer Suspension und zwar auf dem Gnadenwege baten, Hinkmar dagegen sofort die Sache in doppelter Hinsicht auf ein anderes Gebiet zog, indem er die Rechts frage nach der Gültigkeit ihrer Weihen auf warf und dazu noch die Kleriker in die Rolle des Anklägers drängte ^^). Wenn man nun erwägt, dass diese dem mächtigen und energischen Erz- bischofe und Präsidenten der Synode gegenüber einen ungünstigen Stand hatten, und dass die Protokolle unter dessen Aufsicht redigirt worden sind, so kann man sich nicht jeden Zweifels darüber ent- schlagen, ob die Freiheit völlig gewahrt worden ist. Jener Umstand erweckt schon kein günstiges Vorurteil, dass die Anklageschrift der
st
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56) Psalm. 15.
57) Jedenfalls waren sie nicht identisch mit denen bei Mansi, da Hink- mar (opp. II, 806) von ihnen bemerkt: „In quibus gestis veram praefatorum fratrum persecutionem adversum me silentio non firmavi", wovon sich bei letz- terem nichts findet.
58) S. unten.
59) Mansi 1. c. 983 B : Hincmarus archiep. dixit : Quae est petitio vestra, fratres ? Uli autem responderunt : Misericordiam petimus nobis a vestra paterni- tate impendi de ministratione ordinum ecclesiasticorum, ad quos a domno Eb- bone quondam provecti, a vestra autem auctoritate suspensi sumus. Hincmarus archiep. dixit: Habetis libellum reclamationis aut postulationis, sicut ecclesia- stica se habet traditio? Uli autem responderunt, se prae manibus nullum habere libellum. Cf. Nicol. ep. ad Hincm. (Jatfe n. 2134. Mansi XV, 746).
Kritik <l.'s' rtt.'ils. <)•')
( uüstlicheii , auf deren Worthiiit in der That viel {inkommt, den Akten nicht einverleil)t ist, anderes minder Wichtige dagegen aus- tiihrHch mitgeteilt wird "^), was auch der Papst mit gerechtem Be- tr<'niden wahrgenonniien hat. Nach der materiellen Seite ist das Synodahirteil aus dem Grunde anfechtbar, weil es sich unter anderem Ulf eine * , Bestätigung" der Absetzung Ebos durch Papst Sergius (itzt, die durchaus nicht stattgefunden hat, und weil in seinen Motiven die von andern aufrecht erhaltene Thatsache, dass Iteiniser Suifragane i. J. 840 mit Ebo Gemeinschaft gepflogen haben, schlechthin in Abrede gestellt wird^^). Es gelingt denn auch Hinkmar nicht, in seiner Antwort an Nikolaus dessen Kritik ihrem wesentlichen In- lialte nach zu entkräften; er behauptet nur, dass die Kleriker nicht i^^ezwungen zur Synode gekommen seien, und dass er die Akten weder verfasst noch unterschrieben habe, was fast so klingt, als ol. .1 -ich -cheue, die Verantwortung für dieselben zu übernehmen *^^). Auch den Zeitgenossen sind Zweifel an der vollen Gerechtigkeit des auf dem Koncile beobachteten Verfahrens aufgestiegen. So berichtet Erz- V)ischof Hraban von Mainz, der vom Bischöfe Heribald von Auxerre inn seine Meinung darüber befragt worden, es seien ihm mannigfache Klagen über das Urteil zugekommen. Er lehnt es zwar vorläufig ab, sich über die Sache zu äussern, da er an Hinkmar um Auf- klärung geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten habe*^^). Die abgesetzten Geistlichen unterwarfen sich keineswegs schwei- fend dem Spruche der Bischöfe, sondern ergriffen das Mittel der Berufung an den römischen Stuhl^*). Eine ihrer Appellationsschriften liegt w^ahrscheinlich in der „Narratio clericorum Remensium" vor '^ ■'"'). Diese enthält zunächst einen für Ebo günstig gefärbten und Bekannt-
60) So ist z. B. (la.s .Scliriftstiuk. wodunli 11. sich Kichter erwählt, in d\(^ Akten aufgenommen (p. 9H4j.
61) S. oben S. 35 11. ß. 84. N. '-VA.
62) Opp. n, 306.
68) Ep. ad Heribald. c. 84 (Ihirt/lnim. ( onc. Germ. II, 211J.
64)Leo IV. ep. ad Hin. m. ihitlr n. l''182 [1989]. Neues Archiv n. 11 S. -ixOt). Nicol. ep. ad synod. .Suesn. (JatlV n. 2822 [2188]. Mansi XV, 748).
65) ßouquet VII, 277 scxq. Ich halte sie mit v. Noorden (Beilage p. VIII ) für eine Eingabe an den Papst; doch glaube ich nicht, dass sie noch zu Leb- zeiten Leo's IV. eingereicht wurde, da auf einen Brief desselben an Hinkmar mit dem Bemerken hingewiesen ^vil(l. .1 w. ni. ii li w.dil im römischen Archive vorfinden, was sich doch diesem Papslt- sflljsl gegenüber sonderbar ausnehmen würde. S. auch Maassen (Anzeiger d. phil.-hist. KI. d. Wiener Akademie 1882 Nr. XXIV), der gegen Langen nachwei-t. <lii<- di.' Narratio lange nach d» Soissoner Koncil (858) verfasst wurde.
Schrörs, Hinkmar von Reims. 5
Ht'lll
60 Appellationsschrift der Kleriker.
Schaft mit Pseiulo- Isidor verratenden Bericht über die Absetzung i. J. 835 und die Restitution i. J. 840. Jene sei unrechtmässig ge- wesen, behaupten die Kleriker, weil die Versammlung von Dieden- hofen nicht vom Papste berufen und dessen Legaten nicht zugegen gewesen seien; diese habe in feierlichster Weise stattgefunden in Gegenwart der SuiFraganbischöfe, von denen die drei während Ebos Abwesenheit geweihten, „was doch durch- aus durch die Kanon es verboten sei", von ihm ihre Be- stätigung erbeten und erhalten hätten. Sie sprechen ferner von einer Restitution Ebos durch Gregor IV., worüber sie das Dokument ^'^) in Händen zu haben vorgeben. Ebo habe stets, auch von Hildes- heim aus gestrebt, auf seinen alten Sitz zurückzukehren und habe wegen ihrer Suspension viele Streitigkeiten mit Hinkmar gehabt.. Diesem sei vom Papste Leo nicht eher das Pallium zugestandei worden, als bis ein Mönch den (falschen) Schwur geleistet, dass seil Vorgänger bereits gestorben sei. Trotzdem habe der Papst miss- trauisch den Vorbehalt gemacht: „Concedimus tibi usum pallii, salvj tamen contentione, quae inter te et Ebonem habetur.*' In Bezu| auf die Synode von Soissons bemerken sie, dass Hinkmar ihnen ver- sprochen habe, sie dort milde zu behandeln; da sie aber desung( achtet sich gesträubt zu erscheinen, seien sie dazu gezwungen wordei Ebenso hätten sie wider ihren Willen eine Klageschrift gegen Hinknif einreichen müssen , und nur einer von ihnen — ohne Zweifel Wulfad^') — habe sich dessen standhaft geweigert, wenngleich di Gegenteil behauptet werde. Dass sie gleich ihrem Gegner sich Richte^ gewählt, sei nur aus Furcht und Verzagtheit geschehen, und zudei sei ihnen keine Zeit gelassen worden, denselben ihre Sache darzulegenj An einzelnen Punkten, wo wir diese „Erzählung" zu prüfen in deJ Lage sind, stellt sie sich als ein plumpes Gewebe von Unwahrheii und Entstellung heraus ^^), und anderes klingt mindestens im höchstenl Grade unwahrscheinlich.
66) Dieses ist schwerlich, wie Bouquet (1. c. 280 N. e.) annimmt, der Brief Gregors ad episcopos et orthodoxes fideles (Mansi XIV, 518), der von sehr zweifelhafter Echtheit ist.
67) Aus dieser Hervorhebung der Person Wulfads dürfte es wahrschein- lich werden, dass die Abfassung der Narratio mit dessen Angelegenheit (vgl. unten Kap. 14) im Zusammenhange steht, dieser vielleicht geradezu der Ver- fasser ist, da er allein als der Standhafte hingestellt wird.
68) So wird z. B. Ebos Reise nach Rom vor seine zweite Vertreibung von Reims verlegt und behauptet, derselbe habe nach d. J. 840 mehr als zwei Jahre hindurch in Reims ungestört geamtet und sei erst nach dem Vertrage von Verdun gewichen (vgl. dagegen oben S. 34 f.j. Die Veranstaltung der Trierer
Vorhi(ii(llini^(>n iiiil Koiii. 07
(»ehört. diese Besc^lnverdesclirift {luoh aller Wjihr.sch<;inli('}ikeit nach erst einer späteren Zeit an, so dürften doch die darin vorge- brachten Gründe im wesentlichen die nämlichen sein, welche bald nach der Synode von Soissons von den Verurteilten in Rom geltend gemacht wurden.
Ihn die Schritte seiner Gegner zu durchkreuzen und eine Be- stätigung der Soissoner Synode zu erwirken, wandte sich zu gleicher Zeit auch Hinkmar an den Apostolischen Stuhl "^), sein Gesuch durch freundschaftliche Briefe und Geschenke an den römischen Bibliothekar Leo und den Nomenklator Gregorius unterstützend '*'). Leo IV. lehnte es jedoch ab ^^), ein Urteil abzugeben, bevor die Sache in Rom selbst untersucht worden sei, und verlangte deshalb, dass einige bischöfliche Teilnehmer des Koncils mit den Akten desselben sich nach Rom begäben. Als Grund seiner Weigerung bezeichnete er die Thatsache, dass zu Soissons keine päpstlichen Legaten zugegen gewesen, dass die Kleriker das Gericht des Papstes angerufen hätten, und dass ihm noch kein kaiserliches Schreiben über die Forderung des Erzbischofs zugegangen sei. Das Aulfallende der letzteren Bemerkung scheint uns nur begreiflich zu sein, wenn wir darin eine Andeutung er- blicken , dass die Sache der Kleriker von seiten des Kaisers dem Römischen Stuhle empfohlen worden war. Lothar, dessen Konflikt mit dem Reimser Metropoliten wegen des Vasallen Fulkrich noch in seiner ganzen Schärfe fortbestand, musste eben jede Gelegenheit will- kommen heissen, dem unbeugsamen Gegner Schwierigkeiten zu be- reiten. Hier trat aber noch der besondere Umstand hinzu, dass die Kleriker wahrscheinlich schon zur Zeit des früheren Kampfes mit dem lothringischen Hofe in geheimer Verbindung gestanden hatten. Dass diese Beziehungen rege blieben, obschon der Kaiser nach dem Tode des Prätendenten kein unmittelbares Interesse mehr an ihnen nehmen konnte, dafür sorgte der Bischof von G renoble, ein gleich- namiger Neffe des alten Ebo, der zugleich mit diesem aus seiner Reimser Abtei hatte weichen müssen. Hinkmar behauptet geradezu, dass ein lothringischer Bischof '^^), den er nicht nennt, seinen Herrn
Synode wird ferner dem Papste Leo zugeschrieben, der erst im folgenden Jahre zur Regierung kam. — Wenck (a. a. 0. S. 111 N. 3) misst der Narratio volle Glaubwürdigkeit bei.
69) Nicol. ep. ad synod. Suess. 1. c. ]). 740 A. (R. H. n. 711
70) R. H. nn. 73. 74. 75.
71) Fragmente dieses Schreibens bei Hincm. opp. II, 300 sq. Mansi XV, 8«6 (Jaffe n. 2G31 [1988].
72) Opp. II, 307. — V. Noorden S. 127 will darunter Remigius von Lyon verstanden wissen. Ich stimme ihm durin hei. ih^^-^ dor Führer der sfid-
ß8 Verhandlungen mit Rom.
veranlasst habe, beim Papste die Genehmigung der Soissoner Akten zu hintertreiben.
Dem Befehle des Papstes, den ganzen Prozess dem Urteile des Heiligen Stuhles zu unterbreiten, kam der Metropolit nicht nach, bat vielmehr abermals um einfache Bestätigung, wogegen auch die Ver- urteilten ihre Appellation erneuerten^*). Leo Hess sich infolgedessen zu dem Zugeständnisse herbei, dass eine fränkische Synode, auf dei- beide Parteien zu erscheinen hätten, die Sache in Gegenwart d<'s Legaten Peter von Spoleto wieder verhandle; fügte aber — er hatte die Absicht Hinkmars, um jeden Preis einen römischen Richterspruch zu verhüten, wohl durchschaut^*) — die fernere Bestimmung bei, dass, falls die Geistlichen zum zweitenmale verurteilt würden, sich aber dabei nicht beruhigen wollten, diese ungehindert nach Rom reisen müssten ^^). Da aber diese Bedingung für Hinkmar nach dem einmal von ihm eingenommenen Standpunkte unannehmbar war, kam das beabsichtigte Koncil gar nicht zu stände. Dagegen liess er sich jetzt bereit finden, ein Exemplar der Synodalakten dem Römischen Stuhle zu unterbreiten^^). Inzwischen machte er aber Anstrengungen, den Kaiser sich günstiger zu stimmen, in der richtigen Erkenntnis, dass von diesem hauptsächlich die Schwierigkeiten ausgingen, die ihm in Rom bereitet wurden.
Kaum anderthalb Jahre, nachdem auf dem letzten Frankentage von Meersen (Frühjahr -851) die lebhaftesten Friedens- und Freund- schaftsversicherungen unter den drei Fürsten ausgetauscht worden, hatten sich drohende Wolken zwischen den westfränkischen und
lothringischen Opposition im Prädestinationsstreite, der Verfasser der unter dei Namen der Lyoner Kirche gehenden Schriften gemeint ist; dieser ist aber nicl Eemigius, sondern Ebo (vgl. unten Kap. 7 N. 10).
73) Nicol. 1. c. p. 740 B.
74) Ib. p. 740 D.
75) Ib. p. 739 sq. Fragmente dieses Briefes, den JafFe n. 2632 (1989) das Jahr 853 setzt, sind nunmehr in der britischen Sammlung von Papstbriefen n. 11 (Neues Archiv a. a. 0. S. 380 f.) wieder aufgefunden. Der Versuch V. Noordens (S. 131 f.), dieses „so pseudo-isidorisch herausfordernde" (!) Schreiben als eine Erdichtung des Papstes Nikolaus, auf dessen Wahrheitsliebe wenig zu geben sei, hinzustellen, hat sich damit als verfehlt erwiesen. Hinkmar behauptet freilich auch (opp. II, 307): Synodum autem . . . aut a Petro Spoletino aut ab alio aliquo in istis regionibus nee fama nee veritate ex apostolica auctoritate congregatam vel congregari iussam. . . . unquam audivi. Es ist möglich, dass die Gegner Hinkmars, die sich von einer neuen Verhandlung auf einer fränkischen Synode keinen Erfolg versprechen konnten, den Legaten be- wogen, den Brief Hinkmar nicht auszuhändigen.
76) Opp. II, 302.
Aussöhnunfif Hinknuirs mit dem Kniscr. '>'.♦
(leiit.scluMi Hof golcgt, wtMl I>u(l\vi<r (1. I). mit- (hm jujiiitanischen Enii)örorn in Verh{iii(llungei\ getreten war ^^). Als natürliche Folge entwickelte ich ein engeres Verhältnis Karls zu seinem andern Bruder, das seinen Ausdruck in den zwei Zusanuuenkünften zu Valenciennes (November 853) und Lüttich (^Februar 854) fand, bei welchen sich die beiden Herrscher unter lauten Klagen über Ludwig gegenseitigen Schutz gelobten '^). Diese Annäherung suchte Hinkmar nach Möglichkeit auszunutzen, indem er im Verein mit einigen Bischöfen an den Kaiser die Bitte richtete, seine schützende Hand von den Klerikern wegzuziehen'*). Lothar willfahrte; ja von schwerer Krankheit, die sein Gemüt er- schütterte, niedergeworfen, Hess er sich jetzt von Hinkmar auch die Lossprechung wegen seines Umganges mit dem gebannten Fulkrich erteilen ^^), so davss der Erzbischof auch in dieser Sache Sieger blieb. Aehnlich wie früher suchte der Kaiser nun selbst die Wünsche des- selben zu fördern; er beauftragte den päpstlichen Legaten, im Sinne Hinkniars beim Papste zu wirken, und schickte zu gleichem Zwecke <iesandte und ein Schreiben nach Rom, denen sich Boten von Keims anschlössen^^). Leo IV. starb (17. Juli 855) jedoch bevor diese an- langten, und zwei Monate darauf (29. September) folgte ihm der Kaiser auf demselben Pfade, nachdem er sechs Tage vorher, der Welthändel überdrüssig, die Krone niedergelegt und im Kloster Prüm das Möuchsgewand genommen hatte. Unter den Gründen, die ihn zu diesem {Entschlüsse trieben, dürfte ein Mahnschreiben des Erz- bischofs, auf das Heil seiner Seele bedacht zu sein^^), nicht die letzte Stelle eingenommen haben.
Durch Papst Benedikt III. erfolgte endlich die Bestätigung des Koncils von Soissons, aber mit dem wichtigen Vorbehalte, der wieder
77) Vgl. Dümmler I, 361 If.
78) Mon. Germ. LL. I, 422. 427. Prud. Annal. a. 854 (SS. I, 448).
79) Opp. II, 307. Ungerechtfertigt ist es, wenn v. Noorden S. 128 unter <-l''ii „fratres et coepiscopi", die sich bei Lothar verwenden, die Keimser Suffragane versteht, denen Hinkmar vorgestellt haben soll , wie sie durch eine Unter- ■^'ichung der Vorgänge von '"^40 auf jeden Fall sehr biossgestellt würden. Nach
111 Zusammenhange sind vielmehr überhaupt Teilnehmer der Synode von issons gemeint.
80) R. H. n. 76. — Die Verdächtigungen Weizsäckers (Niedner, Zeitschr. t. d. histor. Theol. 1858, S. 404 ff.), dass die nunmehr entstehende Freundschaft zwischen Hinkmar und dem Kaiser den landesverräterischen Zweck gehabt habe, das Westreich oder Teile desselben in lothringischen Besitz zu bringen, sind durch V. Noorden S. 128 N. 1 genügend zurückgewiesen worden.
81) Opp. 11, 307. Flod. 3, 10 p. 483 (Inhalt des kaiserlichen Schreibens ■' den Papst); cf. R. H. n. 77.
82) R. H. n. 78.
70 Pä]»stlicli<' B»'stiiti<rnn^'' <lf»s Soissoner Koncils u. d. Reimser Privileüfien.
alles in Frii«^fe stellen konnte: „Wenn es sich so verhält, wie Du uns berichtet Inist" ^^). Diese Beschränkung hatte ihren guten Grund, weil die Akten nicht vollständig eingesandt, namentlich die Be- schwerdeschrift der Kleriker nicht beigefügt worden war 8'^). Hinkmarj freilich behauptete nachmals, jene Klausel sei nur den Einflüsterungen i eines gewissen Geistlichen, der schuldbeladen von Reims geflohen, zu- zuschreiben ^^). Die päpstliche Urkunde enthielt auch eine Aner- kennung der alten „Privilegien" seines Stuhles: dass nämlich der] Erzbischof von Reims als Primas einer Provinz von niemand als vom; Papste gerichtet werden könne vmd überhaupt diesem allein Gehorsam schulde; dass keiner, der seiner Metropolitangewalt unterthan sei, fremdes Gericht anrufen dürfe ; dass alle, die ihm etwa den Gehorsam] versagen würden, mit dem Anathem getroffen werden sollten, — aber alles dieses „unbeschadet der Rechte des Römischen Stuhles", Welchen Anlass der Metropolit hatte, sich seine Rechte eigens ver^ briefen zu lassen ^^), enthüllt uns zum Teil einer seiner Briefe*') ai Thietgaud von Trier, der für sich einen Primat auch über Reims ii Anspruch nahm. Hinkmar wies mit Entschiedenheit dies als An^ massung zurück unter Berufung auf die Geschichte, die von der] artigen Rechten des Trierer Stuhles nichts wisse. Er bezeichnet das Verhältnis der beiden Metropoliten der ehemaligen belgische! Provinz als vollständige Gleichberechtigung und erkannte nur eine! Ehrenvorrang nach Massgabe des Amtsalters an^*). In diesem Sini hatte Hinkmar bald nach seiner Weihe dem Erzbischof Hetti voi
83) Benedict, ep. ad Hincm. (Jaife n. 2664 [2009]. Mansi XV, 110).
84) Nicol. 1. c. p. 739 B. Aeusserst scharf spricht sich dieser über di Art und Weise aus, wie Hinkmar die päpstliche Urkunde zu erlangen wussi Er bezeichnet dieselbe als „versuta cavillatione ab apostolica sede" empfange (ib. p. 789 E.) und bemerkt (ib. p. 740 D.) : Kursus reverendus Hincmarus an praeparat et eidem summo praesuli (Benedikt III) tamquam suarum inexpei versutiarum latenter subripit (die Bestätigung).
85) Opp. II, 809.
86) Lothar (Flod. 8, 10 p. 483) hatte sich auch zu diesem Zwecke beim Papste verwandt, indem er auf die Bedeutung des Reimser Sitzes hinwies, da derselbe (nach der Sage!) von dem Apostelschüler Sixtus gegründet und zu Pippins und Karls d. Gr. Zeit vom Römischen Stuhle besonders ausgezeichnet worden sei, und da femer Stephan V. Ludwig d. Fr. dort gekrönt habe.
87) R. H. n. 17. Der „einfältige" (so charakterisiren ihn die Gesta Trever. Mon. Germ. SS. VIII, 164) Thietgaud trat wohl nur durch die Feinde Hinkmars aufgestachelt so anspruchsvoll auf. In dem Briefe der lotharischen Bischöfe an Hinkmar vom Jahr 858 (Mansi XV, 645) bezeichnet er sich wirk- lich als „primas Belgicae Galliae".
88) Vgl. opp. n, 258. Flod. 8, 20 p. 512.
Hervortreten der pfleudo-isidorischen Bestrebungen. 7 1
Trier seine Verehrung bezeugt*''). Als aber dessen Nachiulger weiter- gehende Forderungen erhob, war er schon bei Papst Leo IV. be- müht gewesen ^'^), eine Bestätigung seiner unabhängigen Primatial- stelhmg zu erlangen. Weit mehr jedoch als dieses anspruchsvolle Auftreten des Nachbars, das keine ernste Gefahr in sich barg, bewogen Bestrebungen , die von anderer Seite hervortraten , den Erzbischof, durch ein päpstliches Privilegium seine Machtstellung zu verstärken. Die Ideen Pseudo-Isidors, dass den einfachen Bischöfen grössere Selbständigkeit und freiere Bewegung in der Verwaltung ihrer Diözesen zukomme, begannen Wurzel zu schlagen. Ein Reimser Suffragan schickte sich an, sie auf dem Wege der Thatsachen zur Durchführung zu bringen. Diesen neuen Kampf aber jetzt schon aufzunehmen , vermied Hinkrnar mit Rücksicht auf die unheil- schwangere Zukunft, welcher das westfränkische Reich in politischer Beziehung entgegenging. Seine Thätigkeit während der nächsten Jahre war vorzugsweise darauf gerichtet, dem schwankenden Throne an der Kirche eine feste Stütze zu bieten, und dadurch auch zu- gleich die Unterstützung des Königs für die kirchlichen Interessen zu gewinnen.
4. Kapitel.
Das Wirken Hinkmars für Kirche und Staat vom Soissoner Koncil (853) bis zum Koblenzer Frieden (860).
Seit dem Augenblicke, da zu Epernay der Adel in den schroffsten (Gegensatz zur Kirche und zu den Wünschen der Geistlichkeit ge- treten war, hatten sich auch die lebhaften Beziehungen, die Karl d. K. anfangs zu den Bischöfen unterhielt, in kühle Zurückhaltung ver- wandelt. Auf dem Fürstentage von Meersen (Februar 847) erschien der König ohne seine Bischöfe, und in seiner Proklamation war nur die Rede von dem Verhältnisse der Vasallen zur Krone, nicht aber von den Beschwerden des Klerus. Dieser Umstand wirft ein um so t^a-elleres Licht auf die veränderte Lage, als Ludwig d. D. damals ,1,'erade nachdrücklich für die Eigentumsrechte der Kirche eintrat ^). Lange aber konnte die Zwietracht der natürlichsten Bundesgenossen nicht dauern. Bereits der zweite Meersener Frankentag (851) zeigt
89) R. H. n. 2.
90) R. H. n. 53.
1) Adnunt. Hludow. c. 5. 6. (Mon. Germ. LL. I, 393 sq.).
72 Anschluss Karls an dio Kirche.
uns die kinJu'Upolitisc lie Konsttdltition in einem wesentlich andern liilde. Nel)en den weltlichen (Tctreuen sitzen wiederum die Prälaten im Rate des Königs, und im Gegensätze zu dem Kapitulare v. J. 847 werden jetzt mehr die Pflichten als die Rechte der Vasallen betont. Die Kirche empfangt an erster Stelle die Zusage des Schutzes, und die Bischöfe werden -ooar zu Richtern bestellt für den Fall, dass einer der Frankenfürsten dem Uebereinkommen untreu werden sollte. Namentlich ist es Karl, der dem geistlichen Stande von nun an die gebührende Ehre verheisst^).
Fs hatte sich eine Schwenkung in der innern Politik des West- reiches vollzogen, die der ganzen Regierung Karl d. K. ihr Gepräge aufgedrückt hat. Die Krone trat in den engsten Bund mit der Kirche, die weltliche Gewalt des Königtums vereinigte sich mit der moralischen Macht, welche das Priestertum über die Gewissen und die Gemüter übt. Beide suchten einander zu stützen zum eigenen Wohle und zum Frommen des Ganzen. Was dem geistlichen Spruche sich nicht beugte, bezwang der weltliche Arm, und was dem Scepter widerstand, wich vor der stillen Hoheit des Krummstabes. Karl gab sich bereitwillig den Ideen und Forderungen der kirchlichen Häupter hin, wohingegen ihm diese ihren weitreichenden Einfluss zu politischen Zwecken zur Verfügung stellten ^). Die Geschichte der folgenden zwei Jahrzehnte wird dafür der Beispiele genug liefern. Schon der jüngste Sieg Hinkmars über seine Widersacher am lothringischen und römischen Hofe wäre ohne die schützende Macht seines Königs kaum möglich gewesen. Dass für Karl d. K. dieser innige Anschluss an die Kirche nichts Unnatürliches hatte und nicht an erster Stelle durch den gebieterischen Drang der Umstände hervorgerufen war, dafür bürgt sein persönlicher Charakter, auf den die Neigung zur Theologie und die Vorliebe für kirchliche Dinge als Erbteil des Vaters mehr als auf seine Brüder übergegangen war. Schwerlich^ hatte er der innern Neigung gehorcht, als er i. J. 846 sich den weltlichen Vasallen in die Arme warf, vielmehr war er nur dem
2) Ib. I, 407 sqq.
3) Bezeichnend ist in dieser Hinsicht eine Stelle in den „Gesichten" (excerpirt bei Bouquet VII, 289— 299), welche der Chorbischof Audradus Modicus im August 850 (vgl. c. 9 p. 290) gehabt haben will und 853 (man bemerke das Jahr!) an* Karl d. K. mitteilte (vgl. c. 15 p. 291). Christus verheisst in diesen Visionen (c. 9 p. 290) Karl d. K., seinen Söhnen und Enkeln glückliche Herr- schaft, wenn er der Kirche Schutz und Förderung angedeihen lässt. Als Strafe aber für die bisherige Missachtung der Kirche kündigt er ihm für das folgende Jahr (851) die Niederlage in der Bretagne an.
AnschlnsM Karls ,in dio Kirche. «o
( i(*h(>te der N()twendi<rkeit getolj^t, da von LoUiriii^cii her bedenkliche W'rwickluugeii drohten, Noniiaunen und Hretoiien gegen da.s junge l\eicli anstürmten, und Acjuitanien nicht mehr im Zaume zu halten war. Andrerseits dürfte aber auch der Einfluss Hinkmars })ei der neuesten Wandlung nicht gering anzuschlagen sein. Karl hatte während der jüngsten Vergangenheit Gelegenheit gefundeji , ebensosehr den \Neiten Blick des Staatsmannes und die Umsicht des Diplomaten an ihm zu schätzen als die lautere Treue gegen den Herrscher. Zu einer Zeit, wo er sonst dem Episkopate entfremdet war, hatte er nicht nur von dem Erzbischofe politische Katschläge entgegen- genommen, sondern ihn auch zu einer wichtigen Sendung und zu diplomatischen Vermittlungen benutzt*). Hinkmar hinwiederum musste den grössten Wert auf die Anbahnung einer vollkommenen Freund- schaft zwischen der politischen und kirchlichen Gewalt legen, war ja anders keine Möglichkeit gegeben, die längst geplanten Reformen zu verwirklichen und der gallischen Kirche, deren Fühning seit dem Beginne der fünfziger Jahre thatsächlich in seine Hand gelegt war, eine achtunggebietende Stellung zu erobern.
Nach allen diesen Richtungen hin bildet die Synode von Soissons ^53) den Anfangspunkt einer neuen Entwicklung. Auf ihr gewinnt die veränderte Stellung des Königs zum erstenmale ihren unzwei- deutigen Ausdruck, und wird dem stillschweigenden Vertrage zwischen Episkopat und Krone gleichsam das Siegel aufgedrückt. Selbst durch die gemessene Sprache der Synodalakten klingt ein Ton hoher Be- friedigung über diese Wandlung hindurch. Sofort der erste Kanon hebt hervor, wde „der König ohne alle ehrgeizige Absicht allein (d. h. ohne die weltlichen Grossen) unter die Mitglieder der Synode trat und einfach (d. h. ohne seine offizielle Stellung und sein könig- liches Recht hervorzukehren) neben den Bischöfen Platz nahm**. Rüh- mend verkünden die Akten, Karl sei „selbst zugegen gewesen, um sich nicht bloss als ergebenen Sohn der Kirche zu zeigen, sondern auch, wo es nötig, als ihren Beschützer mit seiner königlichen Macht" ^). So denkwürdig erschien den Bischöfen diese Thatsache, dass sie im August desselben Jahres auf ihrer Zusammenkunft in Verberie es nicht unterliessen, noch einmal daran zu erinnern, dass /u Soissons ,der glorreiche König die heilige Versammlung mit seiner Gegenwart beehrte" ß). In der That hatte die Kirche Grund, das
4) K. H. nn. 85. 36. 47. 56.
5) Mansi XIV, 978. LL. 1, 416.
6) LL. I, 420.
74 Karls Bemühungen für die Kirche.
Entgegenkommen Karls mit Dank anzuerkennen ; denn nicht nur be- stätigte er von neuem die kirchlichen Immunitäten und gebot die Entrichtung der Neunten und Zehnten, sondern verhiess auch, ansser- ordentliche Königsboten zu senden, welche gemeinsam mit den ein- zelnen Bischöfen den religiös-sittlichen Zustand wie die materielle Lage von Kirchen und Klöstern behufs einer gründlichen Besserung untersuchen sollten^). Aus der Instruktion der königlichen Missi ist besonders die Bestimmung hervorzuheben, dass dieselben die Grafen und übrigen Beamten anhalten sollten, den Bischof auf seinen Visi- tationsreisen zu begleiten und ihm überall die Macht des weltlichen Armes zur Verfügung zu stellen^). Als Gegendienst verhängten die versammelten Väter über die beiden Mönche, welche Pippin von Aquitanien, dem Widersacher Karls, zur Flucht aus dem Medardus- kloster in Soissons verholfen hatten, die schwere Strafe der Degra- dation und Verbannung.
An das Koncil von Soissons schliessen sich ähnlich wie in den ersten Jahren der Regierung Karls mehrere Versammlungen zur Fort- führung des begonnenen Werkes an^), nur mit dem Unterschiede, dass sie jetzt der neuen Aera entsprechend keinen ausschliesslich geist- lichen Charakter tragen. Im August 853 werden zu Verberie^^) die Beschlüsse von Soissons den weltlichen Grossen vorgelesen und von diesen angenommen. Nachdem Karl bei der Zusammenkunft mit Lothar in Valenciennes^^) (Nov. 853) abermals seine Bereitwilligkeit beteuert hat, den Beschwerden des Klerus gerecht zu werden und ein einträchtiges Zusammenwirken von Bischof und Graf zur Wieder- herstellung der Ordnung und Gerechtigkeit herbeizuführen, schreite! er noch in demselben Monate auf der Reichsversammlung von Servais zur Ausführung. Das ganze Reich wird in zwölf Bezirke eingeteilt] und jedem ein Bischof, dem zwei oder drei Aebte oder Grafen bei-j geordnet sind, als Königsbote zugeteilt. Hinkmar wird als solchei an erster Stelle genannt und für zehn Gaue in der Umgebung voi Reims bestellt. Jeder Königsbote erhält eine Proklamation an di Volk, die als seine Aufgabe vorwiegend die Strafrechtspflege be
7) Zur Befolgung dieses Beschlusses schrieb Hinkmar an Rothad von Soissons und an die Mönche von Hautvillers und Orbais (R. H. nn. 63. 64. 65).
8) Ib. p. 418 sqq.
9) Schon zu Soissons (cap. 6) wird auf ein „proxime futurum concilium" hingewiesen.
10) LL. I, 422.
11) Ib. 422 sq.
ll(.( livcnäterische Vorbindun^on weHtfränki-clHr < iro rti mit l)t;utpchUiiid. < •>
zeichnet^*). Ein Reichstajj^ von Atti^ny (.luni 854) erweitert die niissatischen Befugnisse noch durch Hinzufügung einer lleihe neuer Kapitel^'), unter denen das letzte besondere Aufmerksamkeit erregt. Es setzt fest, dass alle Franken dem Könige den Unterthaneneid schwören, oder wenn sie ihn schon früher geleistet haben, diese Thatsache eidlich erhärten müssen. Diese einzige Bestimmung zeichnet die innere Lage des Reiches mit schärferen Strichen als es die aus- fülirlichsten Berichte eines Annalisten vermöchten. Wenn das Ober- haupt genötigt ist, sich der Treue des Volkes durch ausserordentliche Eidschwüre zu versichern, so müssen den Grundfesten des Staates Erschütterungen drohen.
Diese Gefahr liess sich in der That nicht mehr verkennen, als es offenkundig ward, dass westfränkische Vasallen mit dem deutschen Könige hochverräterische Verbindungen anzuknüpfen trachteten. Diese Versuche reichen bis in das Jahr 853 zurück^*), und es ist kein zu- fälliges Zusammentreffen, dass zu derselben Zeit, wo Karl zu Soissons den Bund mit der Kirche schloss, die weltlichen Herren ihre Stütze an einem auswärtigen Machthaber suchten. Freilich, ob gerade die Zuneigung des Königs zum Klerus der erste und tiefste Grund war, der die Häupter der Aristokratie zum Abfalle trieb, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls aber stand im weitern Fortgange beides, die Annäherung des Fürsten an die hohe Geistlichkeit und die wachsende Missstimmung der Grossen, in Wechselbeziehung, so dass man eigentlich nicht davon reden kann, was Ursache und was Wirkung gewesen ist. Auf dieser Seite wurde die Verbindung immer inniger, auf jener die Kluft immer weiter. Ein besonderes Motiv aber für den Groll der Barone wird von Karl d. K. erwähnt; es war der Umstand, dass er nicht mehr wie früher jeden geleisteten Dienst mit Besitztum belohnte, das meistens der Kirche entrissen war^^). Das glimmende Feuer wurde im Jahr 856 zur vollen Flamme
12) Ib. 424 sqq. — Hinkmar beeilte sich, den Beschluss zur Ausführung zu bringen ; schon am 3. Juli 854 fand für seinen niissatischen Bezirk zu Reims die Eidesleistung statt. Zu diesem Zwecke schrieb er auch an den ihm ver- wandten Grafen Bertram, dessen Grafschaft Tardenois zu seinem Bezirke ge- hörte'(R. H. n. 67). — Die Behauptung Hellers (Allg. deutsche Biographie. Art. Hinkmar. Bd. 12. Leipz. 1880. S. 447), dass Hinkmar bei dieser Gelegen- heit die Aufzeichnung des Polyptychon von St. Remi veranlasst habe, entbehrt der Begründung.
13) Ib. 428 sqq.
14) Prud. Annal. a. 858 (SS. I, 452): Comites ex regne Karoli . . . Hludowicum . . . ,, quem per q u i n q u e annos invitaverant, adducunt.
15) LL. I, 445: Si quis de vobis talis est, qui dicat, quia pro paupertaie et necessitate, quia multos dies in illius servitio misit et omnia, quae habuit,
7H Zeitweili^'e VerKöliminj^ mit <l<'n Abtrünnigen.
entfacht, du die westtriiiikischeii Vassallen in Verbindung mit den aquitanischen Ludwig d. I). t'ih'inlich einluden^*'), ihnen gegen den rechtraiissigen Fürsten zu Hülfe zu eilen. Karl schlug den Auf- rührern gegenüber den Wc^g demütiger Bitten und begütigender Ver- sprechungen ein. Die Botschaft, die er ihnen durch eine Gesandt- schaft, an deren Spitze sein Oheim Rudolf und der Abt Adalard von St. Omer standen, am 7. Juli 856 von der Pfalz Quierzy aus zu- sandte*'), lud alle Missvergnügten ein, am 19. Juli sicli in Verberie einzutinden, um ihre Klagen und Wünsche vorzubringen. Er ver- sprach, dieselben nach Möglichkeit zu berücksichtigen, und beteuerte, dass er gegenwärtig, selbst wenn er wollte, seinen Verheissungen nicht untreu werden könne, so vollkommen eins fühle er sich mit allen seinen Getreuen, geistlichen wie weltlichen, üeberdies sicherte er ihnen vollständige Verzeihung für alles Geschehene zu. Für dies- mal kam noch eine Einigung zu stände, freilich nicht so sehr als Frucht der fast an Selbstverdemütigung streifenden Versöhnlichkeit des Königs, sondern weil die Kunde über den Rhein gedrungen war, dass Ludwig d. D. von den Slaven eine schwere Niederlage erlitten hatte und deshalb nicht in der Lage war, einen Zug nach dem Westen zu unternehmen*^).
Bei den erwähnten Unterhandlungen wird zwar der Reimser Erzbischof nirgends ausdrücklich als beteiligt genannt, wie überhaupt die Nachrichten aus dieser Zeit spärlich sind, aber eine Bemerkung Kaiser Lothars aus dem vorhergehenden Jahre lässt uns ahnen, welch bedeutende Thätigkeit Hinkmar im Interesse des Friedens entfaltet haben muss. Jener berichtet nämlich im Jahr 855 an den Papst *^), Hinkmar könne nicht, wie er wünsche, eine Romfahrt antreten, da er ihm wie seinem Bruder Karl durchaus unentbehrlich sei, um die entstandenen Unruhen zu beschwichtigen ^o). So hoch war sein An-
dispendit, ad talem coniunctionem (die Verschwörung), ut aUquid impetraret, quod per servitium impetrare non potuit, se coniunxit etc.
16) Prud. Annal. 1. c.
17) LL. I, 444.
18) Prud. Annal. a. 856 (SS. I, 449 sq.).
19) Flod. 3, 10 p. 483.
20) Capefigue, Essai sur les invasions maritimes des Normands dans les Gaules. Paris 1823. p. 120, bemerkt, wie es scheint zum Jahr 856: Jl (der Normanne Sidrok) serait meme entre dans la Picardie si l'archeveque Hincmar, a la tete d'une armee devouee aux interets du pays, ne se füt oppose a ses efforts". Er begnügt sich leider damit, nur „Hincm. Epistol." als seine Quelle anzugeben. Die ganze Thatsache, die auch v. Noorden S. 138 aufnimmt, dürfte auf einem Irrtum beruhen.
AiilMuf /ii kircliliclion Kcroniit'u. 77
sehen daniiils am HotV; luM-eits «bestiegen, dass er, obwohl einer der jün^'sten Erzbischöfe des Reiches, zur Vornahme der KrcMiung und Eheeinsegnung der Prinzessin Judith und des englischen Königs Ethel- wulf ausersehen wurde, welche am 1. Oktober ft5() unter grossen Feierlichkeiten in der Pfalz Verberie stattfand^ ^).
Die Bischöfe hatten über der Lösung der politischen Verwick- lungen das Ziel der kirchlichen Reform keinen Augenblick aus den Augen verloren. Sie benutzten vielmehr die immer noch unsichere Lage des Königs, der jeden Augen})lick von einem neuen Sturme des Aufruhi*s ereilt werden konnte, um ihn weiter auf der Bahn der Kirchenverbesserung zu treiben. Auf einer Versammlung zu Bon- neuil-^) (August 856) erhoben sie im Anschlüsse an einen eben ein- «;etroffenen Brief des Papstes Benedikt IIL, der den Episkopat wegen der Zerrüttung der Klöster scharf tadelte und ihn der Unthätigkeit beschuldigte, energische Vorstellungen'^'). Sie wälzten alle Verant- wortung von sich auf den König ab, den sie oft genug ermahnt hätten, und erinnerten ihn an die häufigen Versprechungen, die er seit dem Reichstage von Conlaines bis in die jüngste Zeit gemacht habe. Karl durfte keine Forderung der Geistlichkeit mehr zurück- weisen, wollte er seine Krone nicht aufs Spiel setzen. So erliess er denn im Einverständnisse mit den Bischöfen und den wenigen*"*) ihm treu gebliebenen Vassalien am 14. Februar 857 von Quierzy aus, wo >ich auch Hinkmar befand ■'^^), geschärfte Verordnungen gegen Räubereien und Plünderungen. Bischöfe, Grafen und Königsboten wurden beauf- tragt, in ihren Gebieten die Strafen des geistlichen und weltlichen Rechtes gegen die Frevler zur Anwendung zu bringen ^^). Dem Kapitulare wurde dem entsprechend eine doppelte Sammlung von Straf bestimmungen , den kanonischen Rechtsquellen und der karo- lingischen Gesetzgebung entstammend, angehängt, unter denen sich reichliche Citate aus Pseudo-Isidor'-') und Benedikt Levita finden. Zur
21) Opp. I, 750—752. LL. I, 450. Prud. Annal. 1. c.
22) Aus Lup. ep. 18 (Migne 119, 465) geht hervor, dasn dieser Heirhs- tag ursprünglich auf den 1. Juli angesagt war.
23) LL. I, 447 sq.
24) Bei der Zusammenkunft mit Lothar zu St. Qiicntiu 1>» merkt Karl; >ynodum episcoporum et aliquantes de nostris fidelibus . . . convocaviraus (LL. I, 456).
25) R. H. n. 104.
26) LL. 1, 451 sqq.
27) Bisher sah man hierin die erste ausdrückliche Citation Pseudo- Isidors; vgl. dagegen oben S. 47 N. 87.
78 Neue Unruhen.
Ausführung dieser Massregeln blieb aber keine Zeit mehr, denn der Zustand des Reiches gestaltete sich immer verzweifelter.
Im Anfange des Jahres 857 brach, durch fränkische Grosse an- gezettelt, ein neuer Aufruhr in Ac^uitanien aus^^), die Verwüstungen der Normannen nahmen eine unglaubliche Ausdehnung an'''^), und der landesverräterische Verkehr mit dem deutschen Könige wuchs zu einem vollständigen Bündnisse heran. Karl war von Verschwörern umgeben, die es sogar verstanden, ihm Misstrauen gegen seine treuesten Freunde eirizuflössen. Ein von tiefster Besorgnis erfüllter Brief ^^), den Hinkmar um diese Zeit an Graf Rudolf, den Oheim des Königs schrieb, gedenkt des Gerüchtes, als ob er, Hinkmar, und der Graf Zwietracht schürten zwischen Fürst und Volk. Der Erzbischof wünscht, dass Rudolf den König zur Vorsicht mahne, damit er in seinen Aeusse- rungen behutsam sei, auch vermeintlichen Anhängern gegenüber. Karl griff in der höchsten Not zu dem abgenutzten Mittel, unter Hinkmars Mitwirkung noch einmal den Treueid ablegen und geloben zu lassen, dass man ihn in seiner königlichen Würde nach Kräften schützen wolle, während er selbst schwur, jedem Gerechtigkeit und Huld zu bewahren. Ja er bat öffentlich um Verzeihung für seine früheren Fehler und Hess sich zum Zeichen dessen von den Bischöfen die Hand auflegen ^^). Jedoch alle diese Akte einer ratlosen Ohn- macht und Verzagtheit vermochten nicht, die finstern Gewitterwolken, die sich über seinem Haupte zusammengezogen hatten, zu verscheuchen. Der Abt Adalard von St. Omer und ein Graf Otto begaben sich im Juli 858 mit einer Gesandtschaft der westfränkischen Grossen an das deutsche Hoflager ^^). Sie schilderten in grellen Farben die Lage des Landes und Volkes, alle Schuld ihrem Fürsten beimessend, und luden Ludwig zu einem Heereszuge nach Frankreich ein, natürlich | unter dem Vor wände, den armen ünterthanen Friede und Ruhe] wiederzugeben.
28) Prud. Annal. a. 857 (SS. I, 450).
29) S. Dümmler I, 403 ff.
30) R. H. n. 108.
31) LL. I, 457. Hincm. opp. II, 322: Veniam petentes ab episcopis, qui' adfuerunt, manus impositionem accepistis. Dümmler I, 402 versteht darunter die Lossprechung von einer kirchlichen Censur, welche die Bischöfe früher über den König verhängt hätten, von der wir aber nichts wissen, und der auch die Thatsache entgegensteht, dass die Bischöfe gerade in den letzten Jahren im regsten Verkehre mit Karl standen. Wahrscheinlich hatte der König in seiner verzweifelten Lage eine freiwillige Kirchenbusse übernommen, nach welcher die Rekonciliation durch Handauflegung stattzufinden pflegte.
32) Vgl. über das Folgende Dümmler